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AKTUELLES / NEWS => Aktuelles aus den Medien => Thema gestartet von: admin am 28. Juli 2013, 13:38



Titel: Pflegeheime für jüngere Menschen
Beitrag von: admin am 28. Juli 2013, 13:38
Zitat
Auch Jüngere brauchen Pflegeheime

Pflegeheim? Klingt nach älteren Menschen. Senioren-Residenz, Senioren-Zentrum, Senioren-Wohnpark. . . Dabei steigt die Zahl der jüngeren Menschen, die einen Pflegeplatz brauchen. Die aber haben ganz andere Ansprüche und Bedürfnisse an ein Heim als Senioren.


VON RALF MICHEL

Bremen. Auch jüngere Menschen, die durch Unfall, Schlaganfall oder chronische Erkrankung zum Pflegefall werden, brauchen einen Heimplatz. In der Diakonischen Stiftung Friedehorst gibt es deshalb schon seit 15 Jahren einen Pflegewohnbereich ausschließlich für jüngere schwerstpflegebedürftige Menschen. Bis 2006 mit 20 bis 40 Plätzen, dann wurde auf mehr als das Doppelte aufgestockt. „Es gibt einen ganz erheblichen Bedarf“, sagt Geschäftsführer Carsten Heisler.

Nach Friedehorst kämen vermehrt auch Kinder und Jugendliche, bestätigt sein Kollege, Herbert Beims, Oberarzt am Neurologischen Reha-Zentrum der Einrichtung.

Nicht von ungefähr beschäftige man seit Kurzem Deutschlands ersten Schlaganfall-Lotsen für Kinder und Jugendliche, der Betroffene und Angehörige berät.

Von einer leichten Zunahme der Schlaganfälle vor allem in der Altersgruppe der 18- bis 44-Jährigen berichtet Professor Andreas Kastrup, Chefarzt der Neurologie im Verbund Gesundheit Nord. Wie seine Kollegen in Friedehorst weist Kastrup darauf hin, dass dieser Anstieg auch Folge besserer Untersuchungsmethoden sein könnte. „Wir können Schlaganfälle heute ganz einfach besser diagnostizieren.“

Einig sind sich die drei Ärzte darin, dass diese Entwicklung zu einem geänderten Anforderungsprofil für Pflegeheime führt. Jüngere Patienten in klassische Altenheime zu stecken, sei eigentlich undenkbar, sagt Kastrup. „Das wäre eine sehr eingeschränkte Perspektive. Mit denen passiert dann doch praktisch nichts mehr.“

Eine Aussage, der Holger Ebert aus tiefster Überzeugung zustimmt. Er hat Multiple Sklerose. Laufen wird immer schwieriger, die Sehkraft lässt nach, um nur zwei Symptome zu nennen, die ihn zum Pflegefall gemacht haben. Ebert ist mit 53 nicht mehr jung, aber eben auch noch lange kein Senior. Er hat schon in einer Alten-Wohnanlage gelebt. „Furchtbar“, sagt er. Auf dem Flur habe man gelegentlich mal jemanden getroffen, aber ob man mit dem dann auch reden konnte, war eine ganz andere Frage. „Hier sind ständig Leute in meinem Alter oder auch jünger, mit denen ich reden kann. Mir ist das wichtig. Wenn man den ganzen Tag in seinem Zimmer hockt, verblödet man.“

Mit „hier“ meint Ebert die „Residenz Kirchhuchting“, ein Pflegeheim der Mediko-Gruppe. 88 Pflegeplätze gibt es. 20 davon sind – auf einer eigenen Station untergebracht – jüngeren Pflegefällen vorbehalten, was eine Spanne von 16 bis 60 Jahren umfasst, erklärt Ajursana Meiselwitz. Trotzdem firmierte man zunächst unter „Seniorenresidenz“. Das habe man dann aber schnell geändert, erzählt die Pflegedienstleiterin lachend: „Die Jungen haben protestiert – sie seien schließlich keine Senioren.“ So schrumpfte der Name zur Residenz.

Klingt wie eine Marginalie, aber auf der Station der Jüngeren ist der Unterschied spürbar. Pflegepersonal und Patienten sind per Du, und im Aufenthaltsraum steht nicht nur die obligatorische Obstschale auf dem Tisch, sondern liegt daneben die Tastatur für den PC mit Internetanschluss. Gemeinsames Essen bedeutet derzeit vor allem, auf der Terrasse zusammen zu grillen – inklusive Bier und Zigaretten. „Für unser Personal war das anfangs schon eine Umstellung“, räumt Meiselwitz ein. „Aber das sind eben größtenteils jüngere Menschen, kognitiv nicht so eingeschränkt, die melden selbst ihre Wünsche an.“

Das Zusammenleben vermittelt auf diese Weise eher den Eindruck einer Wohngemeinschaft statt einer Pflegestation. Genau das schätzt Ingo Wieck an seinem neuen Domizil. Fünf Monate lag er im Krankenhaus – komplettes Organversagen und innere Blutungen. Danach war an ein eigenständiges Leben nicht mehr zu denken. Dennoch hat er seine Wohnung in der Neustadt zunächst behalten. „Falls es mir wieder besser geht.“ Inzwischen geht es ihm etwas besser. Die Wohnung hat er trotzdem gekündigt. Er möchte bleiben, weil er sich wohl fühlt. „Hier ist immer was los.“

Um genau diesen Lebenswillen gehe es, betont Ajursana Meiselwitz. Für die Bemühungen, die gesundheitlich und psychisch stark belasteten Menschen wieder aufzubauen, spiele die Art des Zusammenlebens eine entscheidende Rolle. Kontakte zu knüpfen, auf Verständnis für die eigene Krankheit zu stoßen, seien wichtige Erfahrungen. „Hier sehen sie, dass auch andere kämpfen.“ Niemand solle das Gefühl haben, in die Ecke abgestellt zu werden, sondern die Kraft entwickeln, „aus dem Rest, der mir bleibt, das Bestmögliche zu machen“. Ingo Wieck formuliert es drastischer: „Ins Altenpflegeheim geht man, um dort zu sterben. Das ist hier ganz anders.“
Quelle: www.weser-kurier.de, 28.07.2013