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Infos + Meinungsaustausch (Forum) => Pflege-Notstand => Thema gestartet von: admin am 18. August 2013, 20:29



Titel: Pflege-Kollaps: zu wenig Pflegekräfte, zu viele Mängel
Beitrag von: admin am 18. August 2013, 20:29
Zitat
Wenn im Seniorenheim die Zeit fehlt

In Bremen warnt ein Bündnis vor dem Pflege-Kollaps. Die Pflege ist am Limit. Doch wenn Details aus dem Pflegealltag bekannt werden, dann sind Anbieter oft schnell dabei, Mängel von sich zu weisen. Ein Beispielfall aus Bremen-Nord.

VON PATRICIA BRANDT


Bremen-Nord. Pflege im Akkord. 83 Minuten am Tag habe eine Pflegekraft im Durchschnitt für die Komplettversorgung eines Patienten (http://www.bmfsfj.de/doku/Publikationen/heimbericht/4/4-2-daten-zur-leistungsstruktur-in-heimen.html), rechnet der Begründer der Bremer Selbsthilfe-Initiative Heim-Mitwirkung, Reinhard Leopold, hoch. Qualität und würdevolle Pflege seien so kaum möglich. „Der Pflegenotstand äußert sich in vielfältiger Weise. Bei der Essensversorgung oder auch im Miteinander mit den Angehörigen“, beschreibt er. Doch selten werden Probleme offen angesprochen: „Schweigen ist üblich.“ „Viele, die in Pflegeheimen arbeiten oder ihre Angehörigen dort besuchen, nehmen Missstände wahr – sie schweigen aber lieber darüber“, sagt Leopold. Für Angehörige sei es zudem schwierig zu beurteilen: „Wie glaubwürdig sind Aussagen von verwirrten alten Menschen?“

Ein Blick auf die Prüfberichte des sogenannten Pflegelotsen des Verbands der Ersatzkassen über die Pflegeheime in Bremen-Nord im Internet zeigt: Es ist auf den ersten Blick alles in Ordnung. Viele Pflegeeinrichtungen schneiden mit sehr guten Prüfungsnoten ab.

Wer genauer hinschaut, findet Unternoten. Das private Altenpflegeheim, Christopher-Haus II an der Hammersbecker Straße, zum Beispiel hat bei der medizinischen Versorgung und Pflege ein „befriedigend“ erhalten; das Pflegeheim Lesmona beim Umgang mit Demenzkranken ein „ausreichend“. Ob sich Heimbewohner und Angehörige mit Problemen konfrontiert sehen, ist aber nicht ersichtlich.

Kein Kuchen?
Heimbeiräte und Bewohnerfürsprecher haben andere Einsichten. Susanne Hoffmann* vertritt alte Frauen und Männer, die bei der Stiftung Friedehorst im Stadtteil Burglesum leben. Sie berichtet zum Beispiel von einem Streit mit der Pflegeleitung ausgerechnet über eine Hygieneverordnung. Die untersage es der Küche, frische Eier zu verwenden und Angehörigen, selbst gebackenen Kuchen in die Einrichtung mitzubringen. „Sie sind bemüht, Lebensmittelvergiftungen zu verhindern“, sagt Hoffmann. Sie ärgert sich über die Verordnung, weil sie „im Widerspruch zur Sauberkeit der Umgebung“ stehe. Töpfe und Geschirrwagen sind laut Bewohner-Vertretung regelmäßig verschmutzt, bei der jüngsten Heimbegehung gab angeblich ein vordatierter und als erledigt abgehakter Reinigungsplan in der Küche Anlass zu Kritik.

Es soll in Friedehorst an Ausstattung und Personal hapern. Es sei zwar in den Pflegeverträgen festgelegt, dass die Heimbewohner alle ein bis zwei Wochen geduscht werden sollen. „Dies findet aber nicht immer statt“, sagt Hoffmann. „Wobei ich gelernt habe, dass sie niemanden zwingen können, unter die Dusche zu gehen. Jeder hat das Recht auf Verwahrlosung.“

Die Stiftung weist die Kritik von sich. Von Pflegenotstand will bei Friedehorst niemand reden. Die Presseabteilung verweist stattdessen auf die guten Noten bei den unangemeldeten Kontrollen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherungen und der Heimaufsicht, die die Pflegeleistung mit 1,1 bis 1,7 bewertet hätten.

Die Einrichtung nimmt auch zu konkreten Vorwürfen Stellung. Richtig sei, dass das Duschen in Friedehorst in der Regel in wöchentlichen Intervallen stattfänden. Sprecherin Sabine Henkel: „Es gibt jedoch Ausnahmen, da einige Bewohner das Duschen ablehnen oder stattdessen ein Bad wünschen. Diesen Wunsch respektieren wir selbstverständlich und dokumentieren die jeweils erbrachte Leistung ebenfalls entsprechend.“

Was die Zentralküche betrifft: Den Hinweis auf hygienische Mängel lässt die Stiftung ebenfalls nicht gelten. Der Lebensmittelüberwachungsdienst bestätige regelmäßig deren einwandfreien Betrieb. Reinigungspläne würden sorgfältig kontrolliert. Dass Töpfe und Geschirrwagen vor dem Rücklauf in die Zentralküche verschmutzt sind, habe nur den Grund, dass sie auf den Stationen genutzt, aber dort nicht gereinigt würden. Und was den Kuchen betrifft, dürften Angehörige ihn sehr wohl mitbringen. Die Mitarbeiter seien aber gehalten, zum Wohl der Bewohner keine privaten Produkte in die Versorgung zu geben.

Die Einrichtung pflegt eigenem Bekunden nach einen regen Austausch mit dem Heimbeirat. Die Bewohnervertreterin hofft, dass die neue Heimleitung Probleme anpacken will. „Ich will, dass die Leute ein schmackhaftes Essen bekommen“, sagt sie.

Wegen vereinzelter Beschwerden hat die Bewohner-Vertretung übrigens eine Befragung über die Zufriedenheit der Essensversorgung unter den Senioren organisiert. Das Ergebnis steht noch aus: „Ich gehe aber davon aus, dass sich 90 Prozent zufrieden äußern werden.“
*Name geändert
Quelle: www.weser-kurier.de / Die Norddeutsche, 18.08.2013