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Betrug + Korruption im Gesundheitsbereich => Betrug + Kranken-/Pflegekassen => Thema gestartet von: admin am 24. Oktober 2013, 12:09



Titel: Korruption im Gesundheitssystem - Welche Rolle spielen die Versicherten?
Beitrag von: admin am 24. Oktober 2013, 12:09
Zitat
„Luftrezepte sind der klassische Abrechnungsbetrug“

Gefälschte Rezepte, Scheinbehandlungen, Bestechung: Den gesetzlichen Krankenkassen gehen jedes Jahr viele Millionen Euro durch Abrechnungsbetrug und Korruption verloren. Über die Maschen der Betrüger und die Rolle der Patienten sprach Sabine Doll mit Dina Michels, Chefermittlerin der Krankenkasse KKH-Allianz.

Sie decken Betrugsfälle im Gesundheitssystem auf, die den Krankenkassen und damit auch den Versicherten schaden – um welche Summen geht es dabei?
Dina Michels:
Wir decken im Jahr Schäden in Höhe von rund einer Million Euro auf, die zulasten unserer Krankenkasse, der KKH-Allianz, gehen. Allerdings fließt das nicht alles wieder zurück, weil häufig Vergleiche geschlossen werden, bei sehr großen Beträgen Insolvenzverfahren laufen oder sich die Verantwortlichen oft auch ins Ausland absetzen. Transparency International hat dazu auch Zahlen genannt und geht von sechs bis 24 Milliarden Euro an Gesamtschäden für die gesetzlichen Krankenkassen aus. Mein Eindruck ist, dass wir nur einen sehr geringen Teil aufdecken, das Dunkelfeld ist riesig.

Können Sie ein typisches Beispiel geben?
Der ganz klassische Betrug ist etwa, dass nicht erbrachte Leistungen abgerechnet werden. Ein Arzt stellt ein Rezept auf einen Patienten aus, der nichts davon weiß, und übergibt dieses Rezept einem mit ihm zusammenarbeitenden Apotheker. Der Apotheker rechnet das Rezept mit der Krankenkasse ab, ohne dass das Medikament jemals an den Patienten abgegeben wurde. Das wird mit teuren Mitteln gemacht und ist damit ein sehr lohnendes Geschäft bei der entsprechenden Menge. Man nennt das Luftrezepte. Solche Fälle haben wir immer wieder und in allen Bereichen.

Es gibt auch das lukrative Doktor-Hopping, wie funktioniert diese Masche?
Da gibt es Absprachen zwischen vermeintlichen Patienten und Apothekern. Die Patienten lassen sich von verschiedenen Ärzten teure Medikamente verschreiben, die sie dann bei einem Apotheker einreichen – dafür bekommen die Patienten als Belohnung Geld oder andere Produkte, die eine Apotheke vertreibt. Eine anderer Klassiker: Ein echter Patient gibt einem Apotheker das Rezept, bekommt dafür auch sein Medikament – der Apotheker nimmt handschriftlich Ergänzungen vor, erhöht zum Beispiel die Mengenangabe oder schreibt weitere Medikamente hinzu, bevor er die Verordnung zur Abrechnung bei der Krankenkasse einreicht. Damit kann man viel Geld verdienen, deshalb sind die Schäden im Bereich Arzneimittel oft sehr hoch, auch wenn die Fallzahlen eher gering sind.

Wie viel verdienen die Betrüger damit?
Ich erinnere mich an einen Fall, bei dem handschriftlich weitere Medikamente auf dem Rezept hinzugefügt wurden. Das lief über drei bis vier Jahre so, bis es aufgedeckt wurde. Die Schadenssumme lag bei über einer Million Euro.

Und wie fällt ein solcher Betrug auf?

Bei der Abrechnungsprüfung kann das auffallen. Aber ganz oft ist es auch der Zufall, der hinzukommt. Bei dem Fall, bei dem es um handschriftliche Ergänzungen durch einen Apotheker ging, hat uns der Arzt, der ein Rezept ausgestellt hat, den Hinweis gegeben.

Können Patienten Fehlverhalten und Betrug überhaupt erkennen?

Das Problem ist, die meisten Patienten wissen oft nicht so genau, was korrekt ist und was nicht, was sie selbst dürfen und was erforderlich ist. Ein klassisches Beispiel dafür: Ein Patient geht zur Physiotherapie mit einer Verordnung für sechsmal Krankengymnastik. Gleich beim ersten Mal wird er aufgefordert, für alle geplanten sechs Termine zu unterschreiben. Es wird gesagt, die Krankenkasse fordert das. Viele Versicherte hinterfragen das nicht und unterschreiben – oft auch wenn sie stutzig werden. Vor allem später melden sich Patienten bei uns, wenn die Behandlung vorzeitig beendet wurde und die Befürchtung besteht, dass dennoch alles abgerechnet wurde.

Und das ist Abrechnungsbetrug?
Nur dann, wenn sich diese Befürchtung bestätigt. Dann werden ja nicht erbrachte Leistungen abgerechnet. Die Verträge der Krankenkassen mit den Heilmittelerbringern sehen deshalb vor, dass die Unterschrift des Versicherten unmittelbar vor oder nach jeder Behandlung erfolgen muss. Die Voraus-Quittierung ist verboten. Denn es ist ja möglich, dass nach drei Terminen eine Behandlung beendet wird. Und die Verlockung ist natürlich groß, wenn ich schon die Unterschrift für alle Termine habe, dies auch so an die Krankenkasse weiterzugeben. Wird bei einer Überprüfung nach einem Hinweis festgestellt, dass dies regelmäßig so gehandhabt wird, gehen wir dem Verdacht auf Abrechnungsbetrug nach. Das Unwissen des Patienten wird ausgenutzt.

Welche Fälle gibt es noch, wo Versicherte aufmerksam werden sollten?

Im Bereich der Korruption gibt es oft unzulässige Kooperationen zwischen Ärzten und anderen Anbietern, zum Beispiel Sanitätshäusern oder auch Physiotherapeuten. Das merkt der Patient in der Regel nicht. Der Arzt hat hierbei ein Interesse daran, dass seine Patienten zu seinem Kooperationspartner gehen, weil er über diesen an seinen eigenen Verordnungen mitverdient. Er bekommt zum Beispiel Provision für jedes Rezept. Der Arzt darf aber ungefragt keinen Anbieter empfehlen. Das heißt, die Frage nach einer Empfehlung durch den Patienten muss provoziert werden, indem der Arzt zum Beispiel sagt: „Damit müssen Sie aber unbedingt zu einer besonders guten Adresse gehen.“ Der verunsicherte Patient wird dann nachfragen, wo die denn wohl sein könnte.

Was können Patienten tun, damit Abrechnungsbetrug und Korruption aufgedeckt werden können?
Patienten sollten sich bei einem Verdacht an ihre Krankenkasse wenden. Ganz wichtig ist es auch, die Behandlungen zu hinterfragen und den Therapeuten zu wechseln, wenn sie unzufrieden und unsicher sind. Also öfter mal aufs Bauchgefühl hören.

Um Korruption im Gesundheitswesen geht es heute von 18 bis 20.30 Uhr bei einer Podiumsdiskussion im Kultursaal der Arbeitnehmerkammer, Bürgerstraße 1.
Quelle: www.weser-kurier.de, 23.10.2013