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Infos + Meinungsaustausch (Forum) => Arzneimittel / Medikamente => Thema gestartet von: admin am 28. Juni 2014, 00:34



Titel: Münchner Amtsgericht will Psychopharmaka in Seniorenheimen eindämmen
Beitrag von: admin am 28. Juni 2014, 00:34
Psychopharmaka in der Altenpflege: Spaziergang statt Pille

Zitat

Initiative München, Psychopharmaka in Alten- und Pflegeheimen

Ein wichtiger Schritt zur Reduzierung der Psychopharmaka-Gabe in Alten- und Pflegeheimen.

 

Der Medizinische Dienst der Krankenkassen hat ermittelt, dass in Deutschland 2,2 Millionen Pflegebedürftige zu versorgen sind, von denen 1,5 Millionen zu Hause leben und ambulant betreut werden und 700000 stationär in Heimen betreut werden. Die Menschen in Deutschland werden immer älter, der Anteil der über Neunzigjährigen in der Bevölkerung steigt und damit auch das Risiko für Demenzerkrankungen. Bundesweit leben 1,1 Millionen Demenzkranke, von denen 240000 zu Unrecht mit Psychopharmaka behandelt werden. Dies hat eine Studie des Zentrums für Sozialpolitik der Uni Bremen ergeben.

Psychopharmaka-Gabe in Münchner Heimen
In München bekommen 51,28 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner von Alten- und Pflegeheimen Psychopharmaka mit beruhigender oder sedierender Wirkung oder Nebenwirkung verordnet. Das hat eine Erhebung der Fachstelle für Qualitätssicherung in der Altenpflege im Zeitraum vom 1.6.10 bis 30.6.11 ergeben, in die 51 Einrichtungen in München und 6394 Bewohnerinnen und Bewohner einbezogen wurden. Der Qualitätsbericht 2011/2012 der Münchner Heimaufsicht spricht von einem bedenklichen Umgang mit Psychopharmaka. Die erhobenen Daten würden zeigen, dass zu schnell zu viele Medikamente aus der Gruppe der Psychopharmaka verabreicht werden. So hätten viele Bewohnerinnen und Bewohner fünf bis zehn und mehr Medikamente erhalten ohne Überprüfung von sich beeinflussenden Nebenwirkungen. Auch die Vergabezeiten seien ein problematisches Feld. Insgesamt hätten 74 Prozent der tatsächlichen Bedarfsvergaben abends (8 Prozent) und nachts (66 Prozent) stattgefunden. Die Münchner Heimaufsicht stellt in ihrem Bericht fest, dass es an einer grundlegenden Strategie fehlt, die ärztliches, betreuerisches und pflegerisches Handeln in Einklang bringt.

Genau dies hat sich zum Ziel gesetzt die
„Initiative München, Psychopharmaka in Alten- und Pflegeheimen“ unter Federführung des Amtsgerichts München, Betreuungsgericht.

Gesetzliche Anforderungen
Das Amtsgericht München ist zuständig für die Genehmigungen von freiheitsentziehenden Maßnahmen in der Stadt und dem Landkreis München. Das Gesetz sieht in § 1906 Absatz 4 BGB vor, dass immer dann, wenn ein Medikament mit sedierender Wirkung verabreicht werden soll, ohne dass der Hauptzweck der Medikamentengabe die Heilung des Patienten ist, eine betreuungsrechtliche Genehmigung vorliegen muss. Das Gesetz stellt somit die medikamentöse Ruhigstellung der mechanischen Fixierung gleich. Anträge für solche Genehmigungen sind von den Betreuern beim Betreuungsgericht München zu stellen, wo dann ein sogenanntes „Unterbringungsverfahren“ durch den zuständigen Richter oder die zuständige Richterin durchgeführt. Dabei wird die Notwendigkeit der Medikamentengabe geprüft und die Medikamentengabe gegebenenfalls genehmigt. Bisher gingen beim Amtsgericht München solche Anträge nur in verschwindend geringer Zahl ein.

Beteiligte und Ziel der Initiative
Das Amtsgericht München hat im November 2013 eine Arbeitsgruppe gegründet, um eine Sensibilisierung im Umgang mit Medikamenten, die freiheitsentziehende Wirkung haben können, zu erreichen und die interdisziplinäre Zusammenarbeit der Beteiligten zu fördern. Der Arbeitsgruppe gehören Vertreter des Justizministerium, des Ministeriums für Gesundheit und Pflege, die örtlichen Betreuungsbehörden, die Fachstellen für Qualitätssicherung in der Altenpflege, Vertreter des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen Bayern und des Bayerischen Hausärzteverbandes an. Am 6.11.14 wird ein Fachtag veranstaltet werden, an dem Vertreter der Alten- und Pflegeeinrichtungen in München, Fach- und Hausärzte, Angehörigenvertreter und -beiräte, Betreuungsvereine und Vertreter der Psychiatrien in München zu dem Thema informiert werden.

Das Genehmigungsverfahren für Psychopharmaka bei Gericht
1.
Das Gericht wird eng -und das ist völlig neu!- mit dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen Bayern und dem Bayerischen Hausärzteverband zusammenarbeiten, die in ihrem Bereich die Sensibilisierung für die Genehmigungsbedürftigkeit und Notwendigkeit ihrer Verschreibungen vorantreiben werden.

2. Auch bei der Vergabe von Gutachtensaufträgen durch das Betreuungsgericht wird die Aufforderung ergehen, explizit zu den verabreichten Medikamenten und ihrer Wirkung Stellung zu nehmen.

3. Das Gericht wird entsprechend der Zielsetzung die Anforderungen an die Berichte der Berufs-Betreuer anpassen. Konkret heißt das, dass die Betreuer aufgefordert werden, speziell zu der verordneten Medikation Stellung zu nehmen.

4. Bei Eingang eines Antrages auf Genehmigung einer Medikation bestellt das Gericht einen spezialisierten Verfahrenspfleger bzw. eine spezialisierte Verfahrenspflegerin mit beruflicher Pflegeerfahrung, der bzw. die die Interessendes Betroffenen vertritt. Diese Verfahrenspfleger verfügen sowohl über pflegefachliches als auch juristisches Wissen. Sie können daher mit den Pflegeverantwortlichen, Angehörigen, rechtlichen Betreuern sowie den Ärzten in der Einrichtung auf Augenhöhe diskutieren und nach alternativen Lösungen suchen. Sie erarbeiten vor Ort alternative Maßnahmen, um bei Ruhelosigkeit, herausforderndem Verhalten oder gesteigertem Antrieb der Betroffenen auf Psychopharmaka verzichten zu können.

5. Der Verfahrenspfleger wird abschließend eine in der Regel mit den Pflegeverantwortlichen und Angehörigen gemeinsam erarbeitete pflegefachliche Empfehlung abgeben, die die Grundlage der betreuungsrichterlichen Entscheidung bildet.

Das Amtsgericht München ist der Überzeugung, dass durch diese Initiative die Psychopharmaka-Gabe transparent gemacht werden und reduziert werden kann und insgesamt die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Bereich der Pflege in Heimen zum Wohl der Bewohner und pflegebedürftigen Menschen gefördert wird.

Erfahrungen mit dem Werdenfelser Weg zeigen, dass die Fixierungen in München drastisch von 12 Prozent im Jahr 2011 auf unter 5 Prozent im Jahr 2013 reduziert werden konnten durch die Zusammenarbeit aller Disziplinen.

Gerhard Zierl, Präsident des Amtsgerichts München hierzu:
„Es ist mir bewusst, dass die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Bereich der stationären Pflege bei der Fülle der Patienten und dem Stellenplan der Pflegekräfte eine enorme Herausforderung darstellt. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass die neue Initiative die Lebensqualität der Heimbewohner verbessern und das gegenseitige Vertrauen fördern wird. Die Freiheitsrechte des einzelnen zu achten und zu schützen und so lang wie möglich ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen ist eine grundlegende Verpflichtung unserer Gesellschaft.
Das Amtsgericht München hat daher mit der „Initiative München, Psychopharmaka in Alten- und Pflegeheimen“ einen Weg gefunden, Hand in Hand mit allen Beteiligten zum Wohl der Patienten die Vergabe von Medikamenten zum Zweck der Sedierung zu reduzieren.“

 

Download Pressemitteilung:

  • Initiative München, Psychopharmaka in Alten- und Pflegeheimen PDF-Icon |

Quelle: http://www.justiz.bayern.de/gericht/ag/m/presse/archiv/2014/04404/index.php, 27. Juni 2014 - Pressemitteilung 26/14


Titel: BIVA: Gegen Missbrauch von Psychopharmaka in der Altenpflege
Beitrag von: admin am 11. Juli 2014, 12:53
Zitat
“Münchner Weg” beispielhaft für ganz Deutschland.

Bonn. Die Initiative des Münchner Amtsgerichts gegen Missbrauch von Psychopharmaka in der Altenpflege wird von der Bundesinteressenvertretung der Nutzerinnen und Nutzer von Wohn- und Betreuungsangeboten im Alter (BIVA) begrüßt und als beispielhaft bezeichnet. Dr. Manfred Stegger, Vorstandsvorsitzender der BIVA, fordert eine Ausdehnung des “Münchner Wegs” auf ganz Deutschland: “Pflegebedürftige und deren Angehörige haben überall ein Recht auf Schutz vor dieser Art von Missachtung ihrer Grundrechte auf Würde und körperliche Integrität.”

Über 50 Prozent der Bewohner von Alten- und Pflegeheimen in München erhalten Psychopharmaka mit beruhigender und sedierender Wirkung. Vor allem zur Nachtruhe, wenn sich wenige Pflegekräfte um viele Bewohner kümmern müssen, werden Medikamente zur Ruhigstellung verabreicht, berichtet die Presse unter Bezugnahme auf die Heimaufsicht.

“Die Situation in München dürfte sich in ähnlicher Form überall in Deutschland wiederholen”, befürchtet Stegger. Rechnet man die Ergebnisse der Münchner Studie hoch, kann man davon ausgehen, dass rund 400.000 alte Menschen in deutschen Senioreneinrichtungen regelmäßig Psychopharmaka erhalten – viele von ihnen nicht aus therapeutischen Gründen, sondern einfach zur Ruhigstellung.

“Solche Fälle sind gleichzusetzen mit mechanischen Freiheitseinschränkenden Maßnahmen (FeM) und müssen ebenfalls gerichtlich genehmigt werden”, erklärt Stegger. Möglicherweise ist vielen Beteiligten dieser Umstand gar nicht bekannt. Es überrasche ihn daher nicht, dass laut Münchner Amtsgericht bei der medikamentösen Sedierung viel zu selten ein gerichtlicher Antrag vorliege.

Schließlich wisse man aus dem Pflegebericht des Medizinischen Dienstes (MDS), dass bei 11,2 Prozent der Bewohner, die in Senioreneinrichtungen durch Gurte oder Gitter fixiert werden, keine Einwilligung oder richterliche Genehmigung vorliegt (3. Bericht des MDS nach § 114 Abs.6 SGB XI). Deutlich höher dürfte die Zahl bei Ruhigstellungen durch Medikamente liegen, vermutet Stegger. Schließlich sei der Einsatz von Psychopharmaka für Außenstehende unsichtbar und die Grenze zur therapeutischen Anwendung Die BIVA fordert in der Altenpflege einen generellen Verzicht auf FeM – sowohl mechanische als auch medikamentöse. “Das entspricht dem aktuellen pflegewissenschaftlichen Stand”, so Stegger. Kurzfristig müsse eine Reduzierung der FeM erreicht und dringend sichergestellt werden, dass zumindest der Rechtsweg eingehalten wird. “Eine Initiative, wie sie in München gestartet ist, sollte bundesweit als Beispiel gelten.”
Quelle: http://www.biva.de/biva-gegen-missbrauch-von-psychopharmaka-in-der-altenpflege-muenchner-weg-beispielhaft-fuer-ganz-deutschland/, 09.07.2014



Neue Münchner Initiative fordert Weniger Psycho-Pillen in der Altenpflege
John Schneider, 28.06.2014 11:56 Uhr


Die Fixierung von Heimbewohnern hat das Münchner Amtsgericht bereits drastisch reduzieren können. Jetzt haben die Richter dem Einsatz von Psychopharmaka den Kampf angesagt. ...

Quelle: http://www.abendzeitung-muenchen.de/ (http://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.neue-muenchner-initiative-fordert-weniger-psycho-pillen-in-der-altenpflege.ca6d0bf6-31a8-444f-ba64-ac43162d52a6.html)



Psychopharmaka in der Altenpflege Spaziergang statt Pille

Jeder zweite Bewohner von Münchner Alten- und Pflegeheimen wird mit Medikamenten ruhiggestellt. Das Münchner Amtsgericht vergleicht das mit Freiheitsentzug. Es will den Einsatz von Psychopharmaka in Seniorenheimen eindämmen - und dafür vor allem die Betreuer aufrütteln. ...


... Am 6. November sollen auf einem Fachtag die Vertreter der Münchner Alten- und Pflegeeinrichtungen, Fach- und Hausärzte, Angehörigenvertreter und -beiräte, Betreuungsvereine und Vertreter der Psychiatrien informiert werden. Pflegeexperte Claus Fussek lobt die Initiative zwar: Doch letztlich hänge alles an der notwendigen Anzahl gut ausgebildeter und motivierter Pflegekräfte, mahnt er.

Quelle: http://sz.de/1.2020753, 27. Juni 2014