Selbstbestimmung demenziell erkrankter Bewohnerinnen und Bewohner

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Multihilde:
Krankenhäuser und Pflege

Als ihre größte Herausforderung betrachtet Sozialministerin Cornelia Rundt (SPD) neben den Krankenhäusern die Pflege, wie sie im Gespräch mit Christina Sticht sagte. Rund 3,2 Prozent der Menschen im Land sind bereits pflegebedürftig. Die Landesregierung bringt ein neues Heimgesetz auf den Weg, das ein selbstbestimmtes Leben im Alter möglich machen soll.

Zitat

Sie arbeiten an einem neuen Heimgesetz. Ist die Pflege die zweite große Herausforderung in der Verantwortung Ihres Ministeriums?

Krankenhäuser und Pflege sind die größten Baustellen. Unser neues Heimgesetz soll Anfang des Jahres ins Kabinett gehen. Mit ihm wollen wir neue Wohnformen wie Wohngemeinschaften für Demenzkranke auf eine klare rechtliche Basis stellen. Noch pflegen 75 Prozent der Familien selber, doch ab etwa 2020 wird es ein Riesenproblem geben. Immer öfter sind beide Ehepartner berufstätig und die Familien leben seltener in der Nähe der pflegebedürftigen Eltern.

Quelle: http://www.weser-kurier.de/region/niedersachsen



der gesamte Artikel ist unter dem Link oben nachzulesen

Multihilde:
Welche Anforderungen sind an die Selbstbestimmung demenziell erkrankter Bewohnerinnen und Bewohner in ambulant betreuten Wohngemeinschaften zu stellen?

Pressemitteilung vom 13. Dezember 2013

Niedersachsens Sozialministerin Cornelia Rundt hat namens der Landesregierung auf eine mündliche Anfrage der Abgeordneten Gudrun Pieper, Annette Schwarz, Norbert Böhlke (CDU) geantwortet:

Die Abgeordneten Gudrun Pieper, Annette Schwarz, Norbert Böhlke (CDU) hatten gefragt:

Ambulant betreute Wohngemeinschaften sind nach Auffassung vieler Fachleute eine den Bedürfnissen demenziell erkrankter Menschen besonders gut entsprechende Wohnform.

Um ambulant betreute Wohngemeinschaften von Heimen abzugrenzen, sieht das Niedersächsische Heimgesetz (NHeimG) vor, dass die Wohnraumüberlassung und die Erbringung der ambulanten Betreuungsleistung nicht in derselben Hand liegen bzw. die Wohnraumüberlassung nicht an einen konkreten Betreuungsdienst gekoppelt sein darf. In diesen Fällen ist die Wohngemeinschaft nicht mehr selbstbestimmt und somit als Heim einzustufen.

Nach § 1 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 des NHeimG ist eine Wohngemeinschaft aber auch dann nicht selbstbestimmt, wenn die Bewohnerinnen und Bewohner durch ambulante Betreuungsdienste in ihrem Selbstbestimmungsrecht eingeschränkt werden. Die rechtliche Auslegung dieser Regelung ist von entscheidender Bedeutung für die Beurteilung der Frage, ob sogenannte Demenz-WGs überhaupt selbstbestimmt sein können. Selbst in den Fällen, in denen die Wohnraumüberlassung unabhängig von der Beauftragung eines ambulanten Pflegedienstes ist und die jeweiligen Pflegeleistungen für jeden Bewohner individuell gewählt werden können, gibt es Unsicherheiten, was den Grad der Selbstbestimmung und demzufolge auch den rechtlichen Status dieser Wohngemeinschaften betrifft.

Der Deutsche Ethikrat verweist darauf, dass ambulant betreute Wohngemeinschaften sich als gute und die Selbstbestimmung weitestgehend wahrende Möglichkeit der Betreuung demenziell erkrankter Menschen erwiesen haben. Der Deutsche Ethikrat tritt auch dafür ein, den Begriff der Selbstbestimmung zum Wohle der Menschen mit Demenz möglichst weit zu fassen. Entscheidend bleibe, wie die für die Pflege und Betreuung Verantwortlichen bei der Bestimmung des Wohls der Betroffenen deren eigene Impulse und Mitwirkungsmöglichkeiten gewichten. Die bei Fortschreiten der Krankheit zunehmend immer weniger mögliche Selbstbestimmung werde dann durch die Bestimmung des Wohl seitens der Pflegenden und Betreuenden ersetzt.

Wir fragen die Landesregierung:

1. Schließt sich die Landesregierung der Beurteilung des Selbstbestimmungsbegriffes durch den Deutschen Ethikrat an?

2. Welche Handlungen dürfen ambulante Betreuungsdienste zum Wohle der Bewohnerinnen und Bewohner einer Demenz-WG vornehmen, ohne deren Selbstbestimmungsrecht einzuschränken?

3. Ist die Einstufung einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft als selbstbestimmt oder nicht selbstbestimmt vom Fortschreiten der Erkrankung bei den Bewohnerinnen und Bewohnern abhängig?

Ministerin Cornelia Rundt beantwortete die Anfrage namens der Landesregierung:

In der Koalitionsvereinbarung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen wurde im Interesse einer Ausrichtung auf die demographischen Herausforderungen und die Stärkung der ambulanten Pflege nach dem Grundsatz „ambulant vor stationär" vereinbart, die Bildung innovativer selbstbestimmter Wohnformen wie Demenz-Wohngemeinschaften zu sichern. Darüber hinaus soll älteren Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind, solange wie möglich ein selbstbestimmtes Leben und Wohnen ermöglicht und gemeinschaftliches Wohnen im Alter - auch für Demenzerkrankte - gefördert werden. Derzeit bereitet die Landesregierung eine entsprechende Weiterentwicklung des Niedersächsischen Heimgesetzes (NHeimG) vor.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1 und 2:
(1. Schließt sich die Landesregierung der Beurteilung des Selbstbestimmungsbegriffes durch den Deutschen Ethikrat an?

2. Welche Handlungen dürfen ambulante Betreuungsdienste zum Wohle der Bewohnerinnen und Bewohner einer Demenz-WG vornehmen, ohne deren Selbstbestimmungsrecht einzuschränken?)


In Anbetracht des Krankheitsbildes demenziell Erkrankter sowie der unterschiedlichsten denkbaren Situationen im Rahmen des vielfältigen Pflegealltags ist es nicht möglich, insbesondere die Frage 2 konkret oder gar in enumerativer Form zu beantworten.

Zunächst ist festzuhalten, dass die Klärung von Rechtsfragen oder der Abschluss von Rechtsgeschäften (z. B. Beantragung sozialer Leistungen, Abschluss von Kauf- oder Dienstverträgen) durch die Vorsorgebevollmächtigten oder rechtlichen Betreuerinnen und Betreuer erfolgen muss, wenn die Bewohnerinnen und Bewohner krankheitsbedingt selbst dazu nicht mehr in der Lage sind.

Das Fortschreiten einer demenziellen Erkrankung erschwert es den Betroffenen, ihr Selbstbestimmungsrecht umfassend wahrzunehmen und auszuüben. Gleichwohl ist es diesen Menschen möglich, verbal oder bei stärkerem Fortschreiten der Erkrankung z. B. auch nonverbal, ihren Willen gegenüber Dritten zu vermitteln. Auch dieser so ausgedrückte Wille ist ungeachtet von Form und Art der Äußerung im Alltag zu beachten. Dabei hat beispielsweise das in der Pflege und Betreuung tätige Personal unter Berücksichtigung der Biografiearbeit in jedem Einzelfall den - ggf. vermuteten - Willen der Betroffenen zu ermitteln und zu beachten. Wenn eine Vorsorgevollmacht existiert, ist diese zur Willensermittlung heranzuziehen und im Zweifel, gemeinsam mit dem Vorsorgebevollmächtigten, zu interpretieren. Soweit rechtliche Betreuerinnen oder Betreuer bestellt sind, sind Zweifelsfragen in direktem Kontakt mit diesen zu klären.

Zu 3:
(3. Ist die Einstufung einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft als selbstbestimmt oder nicht selbstbestimmt vom Fortschreiten der Erkrankung bei den Bewohnerinnen und Bewohnern abhängig?)

Nein.

Quelle: http://www.ms.niedersachsen.de/aktuelles/presseinformationen


Den zweiten Absatz zu Antworten 1 und 2 verstehe ich nicht ganz. Rechtsgeschäfte durch ambulante Pflegedienste? Sowas kann ich mir nicht vorstellen. Wer keine  oder eine nicht eindeutige Vorsorgevollmacht hat (wie ist das eigentlich mit Bettgittern in der WG?) bekommt einen Betreuer.

Wenn Angehörige das nicht übernehmen können oder wollen, wird ein Berufsbetreuer eingesetzt. Da sind die Stunden ja gedeckelt durch die Abrechnungsvorgaben im Monat und es wird kaum so sein, dass der Berufsbetreuer zu jeder Willensermittlung direkt erreichbar ist (bei 40 oder 50 Betreuten geht das praktisch doch gar nicht - Absatz 3)

Was muß man denn alles in die Vorsorgevollmacht reinschreiben zusätzlich, damit es auch für evtl. WG "passt"? Ich hätte da eher gedacht dafür wäre die Betreuungsverfügung besser, weil man damit seine Wünsche festlegt.

Biografiearbeit in Wohngemeinschaften?
Wenn sich selbst Heime, die sich rühmen auf Demente ausgerichtet zu seien, eine 3 oder 4 bei den Pflegenoten einhandeln bin ich da skeptisch...
"Wird bei Bewohnern mit Demenz die Biographie des Heimbewohners beachtet und bei der Tagesgestaltung berücksichtigt?"

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