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News: BGH stärkt Verbraucherrechte von Pflegeheimbewohnern

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Autor Thema: Fremdbestimmt: Gegen den Willen im Pflegeheim  (Gelesen 19201 mal)
admin
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« Antworten #3 am: 18. November 2015, 17:43 »

AKTUALISIERUNG:
Bei einem soeben geführten Telefonat berichtet er, dass er seit 01.07.2015 in einer betreuten Wohnung + inzwischen ganz zufrieden sei.  Lächelnd

Allerdings gebe es viele weitere Personen, die ein ähnliches Schicksal wie er und leider nicht die Möglichkeit haben, sich zu wehren.  ...
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« Letzte Änderung: 18. November 2015, 17:44 von admin » Gespeichert

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« Antworten #2 am: 17. April 2015, 00:06 »

Zitat
Er fühlt sich wie ein Freigänger
Wolfgang Prinz lebt seit einem Jahr im Pflegeheim und sucht eine Wohnung


von Christiane Hoyer

Am Fenster steht sein Trainingsgerät. Auf dem Bett stapeln sich etliche Fachbücher. Wolfgang Prinz, 63, lebt seit vergangenem April im Lustnauer Luise-Poloni-Pflegeheim und sucht nach einer bezahlbaren Wohnung in Tübingen – bisher vergeblich. „Ich soll hier sterben“, sagt er bitter.

Tübingen. Es gibt Dinge im Leben des Wolfgang Prinz, über die er nicht sprechen möchte. Nicht über seine Familie, zu der er keinerlei Kontakt mehr hat, und nicht über Details seiner Krankengeschichte. Aber dass ihm „übel mitgespielt“ wurde, darüber will Wolfgang Prinz ausführlich berichten – und auch auf seiner Facebook-Seite schreiben.


Der gelernte Buchdrucker aus Nordrhein-Westfalen verlor seine Arbeit im Alter von 50 Jahren, musste mit Hartz IV zurechtkommen und lebte zuletzt in Lindau. Seit Juli 2013 ist Prinz in die Mühlen der Bürokratie geraten. Erst im Tübinger Klinikum, dann fühlte er sich als Spielball von Pflegeheim in Neckartenzlingen, Sozialbehörde und Gericht. Am 16. Juli 2013 bekam Prinz im Tübinger Uniklinikum einen Tumor zwischen Nieren und Blase herausoperiert. Es folgten mehrere Notoperationen, später zwei Augen-Operationen. Körperlich war Prinz damals so schwach, dass nicht absehbar war, ob er überlebt. So vermittelte ihn der Sozialdienst des UKT ans DRK-Seniorenheim in Neckartenzlingen und regte einen gesetzlichen Betreuer für ihn an. „Das Heim wollte mich entmündigen und mir einen Zwangsbetreuer verpassen“, berichtet Prinz. Stattdessen habe er eine rechtliche Beratung gebraucht. Er sei damals wegen der Schmerzen „mit Morphium vollgepumpt“ und ans Bett gefesselt gewesen. Im Januar 2014 lehnte das zuständige Gericht einen gesetzlichen Betreuer ab. Wolfgang Prinz setzte dafür Ingrid Ureutz, eine Bekannte, als Generalbevollmächtigte ein. Außerdem konnte er seine Verlegung nach Lustnau ins Luise-Poloni-Pflegeheim erreichen.

„Herr Prinz hat einen langen Leidensweg hinter sich“, sagt Ureutz. Die Zwangsräumung seiner Wohnung, während er in Tübingen im Klinikum lag und niemand mehr die Miete bezahlte, die Probleme im DRK-Seniorenheim Neckartenzlingen und die Frage, wer eigentlich für ihn als Kostenträger zuständig ist: Das alles war für den Rekonvaleszenten, der einen künstlichen Darmausgang hat (Stoma) und dreimal in der Woche wegen seiner kaputten Nieren zur Dialyse muss, schon ein bisschen viel auf einmal. Der zuständigen Sozialbehörde in Augsburg drohte Prinz im vergangenen September mit einem Hungerstreik – was für ihn lebensbedrohlich gewesen wäre.

Nach langwierigen Briefwechseln sind jetzt die Zuständigkeiten geklärt: Prinz ist in Folge seiner Operation schwerbehindert und erhält „Hilfen zur Pflege“, das Heim erhält von der Pflegekasse Zuschüsse für die Pflegestufe 1. Doch der 63-Jährige fühlt sich im Pflegeheim fehl am Platz. Die Bewohner sind meistens über 20 Jahre älter als er, leiden an Demenz und anderen Alterserkrankungen und verbringen hier meistens ihre letzten Lebensmonate, weil sie schwerstpflegebedürftig sind. Auch mit den Tagesabläufen und Angeboten des Heims kommt Prinz „nicht klar“. Er fühlt sich eher „wie ein Freigänger“ eines Gefängnisses. Seit vergangenen September hat sich Prinz auf sämtliche Bewerber-Listen der örtlichen Wohnungsbaugesellschaften setzen lassen. Allein: Seine Suche nach einer (ambulant) betreuten oder barrierefreien Sozialwohnung liefen bisher ins Leere.


Wenig Fluktuation bei betreuten Wohnungen
Nach den Vorgaben des zuständigen Bezirks Schwaben in Augsburg darf die Wohnung bis zu 553 Euro Kaltmiete im Monat kosten. Nach den Quadratmeterpreisen der Tübinger gemeinnützigen Wohnungsbaugenossenschaft GWG von 6,70 Euro pro Quadratmeter (ohne Nebenkosten) würde Wolfgang Prinz damit finanziell hinkommen. Aber: In den insgesamt 21 betreuten Wohnungen, die die GWG in Tübingen vermietet, „gibt es nur eine geringe Fluktuation“, sagt der GWG-Geschäftsführer Gerhard Breuninger. Momentan habe die GWG noch zusätzlich die Schwierigkeit, für jene 25 Hausbewohner etwas zu finden, die derzeit im Philosophenweg 73-77 wohnen – das Haus soll abgerissen und neu gebaut werden.

Auch die Kreissozialamtsleiterin Iska Dürr räumt ein: „Auf den Immobilienmarkt der betreuten Wohnungen hat unsere Sozialbehörde keinen Einfluss“. Auch gebe es viel zu wenig Einrichtungen im Kreis Tübingen, die sich um „junge Pflegebedürftige“ kümmern.

Nach Ansicht von Wolfgang Prinz ist das vor allem eine politische Frage. Er sieht seinen Fall als ein Beispiel unter vielen, die „an den politischen Strukturen“ scheitern. Als „Auswärtszahler“ sei er mit den Kosten fürs Heim und die Dialyse schon ein „Wirtschaftsfaktor“ im Wert von zirka 100000 Euro im Jahr. Einzig bei der Tübinger Linken-Abgeordenten Heike Hänsel, so Prinz, habe er erstmals auf der Suche nach Hilfe das Gefühl bekommen: „Ich bin persönlich etwas wert“. In ihrer Kleinen Anfrage im Bundestag fordern die Linken jetzt Klarheit über den neuen Pflegebegriff.

Das hilft Wolfgang Prinz jedoch wenig in seiner aktuellen Situation. Eine kleine Wohnung mit ambulanter Hilfe – das wäre sein Traum. Und ein kleines Gärtchen, damit „ich fit bleibe“ und er keinen Rollstuhl braucht.

Quelle: Schwäbisches Tagblatt, 08.04.2015 - Dank an die Autorin ...



Zitat
ÜBRIGENS
Haken im Sozialgefüge


Ambulant vor stationär heißt schon seit mehreren Jahren die Devise, nicht nur in der Jugendhilfe, sondern auch in der Altenpflege. Der Fall von Wolfgang Prinz zeigt aber einmal mehr, wo es im Sozialgefüge eigentlich hakt. Den ersten Haken bekam der damals 61-Jährige als Patient des Universitätsklinikums zu spüren: Er hatte ohne Angehörige, ohne Patientenverfügung und Generalvollmacht nicht vorgesorgt und wurde dafür mehrfach abgestraft. Der klinische Sozialdienst ist eigentlich dazu da, schwerkranken Patienten weiterzuhelfen. Selbst das Patientenforum ist im Klinikum mit einer Sprechstunde präsent. Bloß: Diese ehrenamtlichen Mitarbeiter müssen vom UKT-Sozialdienst auch informiert werden, dann kommen sie sogar auf Station.

Der nächste Haken kommt mit der Entlassung: Meistens werden Patienten im arbeitsfähigen Alter nach einer schweren Erkrankung wie die des Wolfgang Prinz in eine Reha-Einrichtung entlassen. Doch wer Arbeitslosengeld 2 bekommt, hat keinen Anspruch darauf – und: Er fällt bei Pflegebedürftigkeit auch aus dem Hartz IV-Bezug. Das heißt: Er bekommt kein Geld mehr. Bis die neue zuständige Behörde den Anspruch auf Rente oder Grundsicherung berechnet hat, vergeht kostbare Zeit. Zeit, die ein Mensch in physischer wie psychischer Notlage nicht hat. Wohin also mit einem schwerkranken, langzeitarbeitslosen Mann, der zumindest vorübergehend nicht für sich sorgen kann?

Auf Frauen und Männer, die im erwerbsfähigen Alter zum Pflegefall werden, weil sie einen Schlaganfall erlitten haben oder unter einer anderen schweren Erkrankung leiden, finden sich in den Strukturen unseres Sozialsystems keine adäquaten Angebote. Nur wenige Pflegeheime im Kreis Tübingen bieten vereinzelt Plätze an. Die „junge Pflege“, sagt auch Iska Dürr vom Kreissozialamt, „haben wir als Thema immer wieder. Das müssen wir aufgreifen“.
Das geht nur mit einer echten, weitgehenden Pflegereform. Sie muss erst einmal auf der politischen Ebene strukturelle Zuständigkeiten klären, mit denen Privatpersonen und oft genug auch Behördenmitarbeiter überfordert sind. Denn ob jemand wie Wolfgang Prinz in Folge seiner Operationen einen Schwerbehindertenausweis bekommt und gesetzlichen Anspruch auf Eingliederungshilfe hat oder nicht: Solche Fragen dürfen nicht auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen werden.

Unzureichend ist auch das Angebot von bezahlbaren (betreuten) Sozialwohnungen. Da kann es noch so tolle Ideen für neue Pflege-Wohngemeinschaften geben. Wer wenig Geld hat – und die Altersarmut wird in den kommenden Jahrzehnten zunehmen – braucht zumindest mal überhaupt eine Auswahlmöglichkeit. Stationär vor ambulant muss da die letzte Möglichkeit sein.

Christiane Hoyer

Quelle: Schwäbisches Tagblatt, 08.04.2015 - Dank an die Autorin ...
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« Antworten #1 am: 12. März 2015, 13:35 »

WOLFGANG PRINZ, via Facebook am 12.03.2015

Zitat
Ich lebe in einem Pflege- oder Altenheim, seit ich Mitte 2013 in Tübingen operiert wurde. Seitdem muss ich alle zwei Tage zur Dialyse und bin auch noch anderweitig behindert. Vor meiner Operation hatte ich eine eigene Wohnung in Lindau. Da ich aber nach der Operation kurzzeitig bewegungsunfähig war und eine Rehabilitationsmaßnahme verweigert wurde, mußte ich in ein Altenheim. Man glaubte, ich würde bald sterben, doch mein Zustand besserte sich schnell. Ich kann mich heute wieder gut bewegen und selbst versorgen und will seit mehr als einem Jahr raus aus dem Altersheim in eine betreute Wohnung in Tübingen.

Ich stehe auf sämtlichen Wartelisten aller mir bekannten Anbieter von betreuten Wohnungen, doch eine Wohnung bekomme ich seit einem Jahr nicht. Es gibt Angebote in einem oberen Preissegment, doch das Sozialamt zahlt höchstens 553 € kalt.

Als Behinderter falle ich unter die UN-BEHINDERTENKONVENTION. Dieses Gesetz sichert mir in Artikel 19 zu, dass ich „nicht verpflichtet bin, in besonderen Wohnformen zu leben.“ Es müssen „wirksame und geeignete Maßnahmen getroffen werden“, um Menschen mit Behinderungen „Wahlmöglichkeiten“ zu schaffen, die es ihnen ermöglichen, „selbstbestimmt zu leben“ und ihren „Aufenthaltsort frei zu wählen“.

Außerdem ist nach dem Sozialrecht eine ambulante Unterbringung vorrangig gegenüber einer stationären Unterbringung. Sie wäre auch viel billiger. Doch ich lebe seit einem Jahr quasi wie ein Gefangener in einem Altersheim, was für mich starke Einschränkungen mit sich bringt.

Gestern bekam ich den nebenstehend abgebildeten Brief der Heimleitung, der das Faß zum Überlaufen brachte: das Heim will mir den Tisch, die zwei Stühle und den Fernseher wegnehmen, da diese bloß für Kurzzeitunterbringung gedacht sind. Dann werde ich nur noch ein Bett, einen Schrank und einen Nachttisch haben. Dafür kassiert das Heim monatlich 3.000 €.

Und nun platzt mir endgültig der Kragen. Ich will endlich aus dem verdammten Heim raus in eine eigene betreute Wohnung und mache meinen Kampf nun auch öffentlich. Vielleicht hilft das ja weiter.

Es gibt Leute, die dafür verantwortlich sind, dass die UN-BEHINDERTENKONVENTION in Tübingen nicht eingehalten wird. Sie sind in der Stadt- bzw. Kreisverwaltung. Fortsetzung folgt.


* Brief_Poloni-Heim_2013-03-10.jpg (322.56 KB, 658x946 - angeschaut 1265 Mal.)
« Letzte Änderung: 12. März 2015, 13:35 von admin » Gespeichert

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« am: 18. Dezember 2014, 14:55 »

Zitat
Prinz ist im Heim

Operation, Dialyse, Schwerbehinderung - Wolf Prinz braucht sicher Unterstützung, aber keine stationäre Pflege. Dennoch ist er seit mehr als einem Jahr im Pflegeheim - gegen seinen Willen


AUS TÜBINGEN HEIKE HAARHOFF

Wolf Prinz' Habe passt jetzt in eine Reisetasche. Eine Sporthose, weit genug, dass sie nicht auf das Stoma, seinen künstlichen Harnausgang drückt, T-Shirts, Wechselwäsche. Das "Schwarzbuch Kapitalismus" des verstorbenen marxistischen Philosophen Robert Kurz, Seife, Zahnbürste. Und sein Laptop, hart erspart bei 105,57 Euro Bargeld pro Monat vom Sozialamt, aber der Computer ist unverzichtbar, er ist sein Kampfwerkzeug. Um rauszukommen, fort von hier. Um dieses Missverständnis baldmöglichst zu beenden, das ihm alles geraubt hat, seine Wohnung, seinen Besitz - und beinahe auch seine Freiheit.

"Kaffee?", fragt Wolf Prinz. Es ist Nachmittag in dem Pflegezentrum in Tübingen, in dem er jetzt lebt, aus der Küche hat er Donauwellen in sein Zimmer geholt. Das immerhin hat er durchgesetzt, dass er nicht im Speisesaal sitzen muss mit den anderen, die tatsächlich hierher gehören. Anders als er. Er ist ein kleiner, beinahe dürrer Mann, der Treckingsandalen trägt. "Inkontinent bin ich auch, dreimal die Woche muss ich zur Dialyse", er kichert. "Ich bin also ein echter Freak". Einer, der weiß, dass er Hilfe braucht. Und der Abhängigkeit fürchtet, der misstrauisch, unbequem und frech auftritt - und aneckt bei Behörden und deren Verständnis von Fürsorge.

Bett, Schrank, Stühle

Sein Zimmer, Buchenschrank, höhenverstellbares Bett, Tisch und Stühle, nichts davon gehört ihm, aber zumindest hat er ein Dach über dem Kopf. Seine Wohnung gibt es seit mehr als einem Jahr nicht mehr. Zwangsgeräumt wurde sie, von seinem damaligen Vermieter. Weil Behörden, Ämter und Sozialdienste versagten und lieber ihren eigenen Interessen folgten: ihn zu einem rechtlosen Sozialfall zu machen, bis ans Lebensende ins Heim gesperrt. Sagt Wolf Prinz. Weil der Herr Prinz stur war und jegliche Hilfe verweigert hat, die zur Rettung seiner vier Wände nötig gewesen wäre. Sagen Behörden, Ämter und Sozialdienste. Tatsache ist: Wolf Prinz lebt seit mehr als einem Jahr in Pflegeheimen - "gegen meinen Willen".

Wolf Prinz, geboren 1952, Drucker, arbeitslos seit mehr als einem Jahrzehnt, Hartz IV, letzte Wohnung in Bodolz am Bodensee, die Miete zahlte das Jobcenter Lindau. Verwandte, Freunde, Vertraute: nicht existent. Wolf Prinz sagt: "Die autoritäre Familie ist der Ursprung des Faschismus." Er hat mit allen gebrochen, die einstehen für einen, wenn nichts mehr geht. Für Menschen wie Wolf Prinz hat der Sozialstaat besondere Schutzpflichten. Eine ist im Sozialgesetzbuch verankert, sie heißt: ambulante Pflege hat Vorrang vor stationärer Pflege.

Warum ist Prinz im Heim? Im Sommer 2013 wird er krank. Die Schmerzen im Bauch rauben ihm den Atem, er kann kaum laufen. Ein Tumor zwischen Blase und Darm diagnostizieren Ärzte in Lindau am Bodensee, die Nieren sind geschädigt. Mitte Juli empfehlen sie ihn an die Spezialisten der Universitätsklinik Tübingen. Operation, Arbeitsunfähigkeit, Schwerbehinderung 100 Prozent, Dialyse. Mitte August die nächste Operation, der Oberarzt, so erinnert es Wolf Prinz, fragt, ob er um sich wisse. Selbstmord wäre eine Alternative, antwortet er - seine Art von Humor. Für den Arzt Grund genug, ihn in die Psychiatrie einzuweisen. Ende August, Gesundheitszustand erbärmlich. Im Grunde ist er für eine Reha viel zu schwach. Die AOK Baden-Württemberg lehnt eine Reha ab. Doch im Krankenhaus ist auch kein Platz mehr für ihn. Prinz erkennt: Allein kommt er nicht klar.

Das Entlassungsmanagement, so teilt es die Uniklinik später der taz mit, erachtet nun "eine Versorgung in einer stationären Pflegeeinrichtung als notwendig".

Wolf Prinz sagt: "Ich bin immer davon ausgegangen, dass das Heim nur vorübergehend ist." Und in diesem Glauben hätten ihn alle gelassen. Sobald es ihm etwas besser geht, möchte er wieder in einer Wohnung leben. Nur an den Bodensee will Prinz nicht zurück, die Stufen dort schrecken ihn. Und vielleicht, so denkt er sich, ist es nicht verkehrt, in der Nähe seiner Ärzte zu bleiben. Er beschließt, nach Tübingen umzuziehen. Er weiht die Uniklinik ein. Gegenüber der taz bestätigt diese: "In einem Gespräch am 03.09.2013 sagte Herr Prinz dem Mitarbeiter des Entlassungsmanagements, dass er seine alte Wohnung am Bodensee auflösen müsse und dabei Hilfe benötige."

Doch zu dieser Hilfe kommt es nicht. Es kommt anders.

Im DRK-Seniorenzentrum
Die Entlassungsmanager sind überzeugt: Prinz kann seine Angelegenheiten nicht selbst regeln, er braucht einen gesetzlichen Betreuer. Nicht nur für die Wohnung, sondern auch für Fragen seiner Finanzen, seiner Kontakte zu Behörden und Ärzten. Dieser Sicht schließt sich das DRK-Seniorenzentrum Haus am Schönrain in Neckartenzlingen an, das erste Heim, in das Prinz am 4. September 2013 zieht.

Wolf Prinz sagt: "Die wollten mich unter Kontrolle kriegen, entmündigen und lebenslänglich abkassieren." Sein Körper mag krank sein, sein Verstand ist klar: Sobald ein Betreuer eingesetzt ist, bestimmt dieser, wo Prinz lebt. Aus Sicht vieler Heime sind Fälle wie Wolf Prinz interessant. Es gibt keine Verwandten, die die Qualität der Pflege überwachen. Aber es gibt Geld: das Sozialamt überweist pünktlich.

Prinz schickt alle potenziellen Betreuer zum Teufel.

Die Uniklinik und das Pflegeheim beschließen nun, selbst beim zuständigen Gericht eine Betreuung "anzuregen". Dem Landratsamt Esslingen als Sozialbehörde teilt das Heim später zur Begründung mit, Prinz befinde sich im Krankenhaus in Göppingen und sei "nicht ansprechbar". Das Amt überprüft das nicht und erfährt so nicht, dass Prinz nie in Göppingen war, und auch nicht, dass er "immer bei vollem Bewusstsein war" - so wird es später Ingrid Ureutz bezeugen, Angehörige seines Zimmernachbarn im Heim.

Gegenüber dem Gericht bejaht das Landratsamt das "Erfordernis einer Betreuung" - ausschließlich zu Prinz' Wohl, beteuern die Institutionen heute: "Es handelt sich bei der Beantragung eines gesetzlichen Betreuers um keinen Eingriff in die Selbstbestimmung, sondern soll diese unterstützen", schreibt die DRK-Heimleiterin der taz. "Außerdem gab es weder Verwandte noch Freunde, die in dieser Angelegenheit Herrn Prinz hätten unterstützen können", recherchiert das Landratsamt. "Alle Schritte wurden im Einvernehmen mit und in Kenntnis von Herrn Prinz unternommen", versichert die Uniklinik Tübingen.

Ingrid Ureutz, Angehörige seines Zimmernachbarn, sagt: "Die wollten den Herrn Prinz mundtot machen und haben ihn behandelt wie den letzten Dreck."

Zum Vermieter in Bodolz nimmt keiner Kontakt auf, nicht das Entlassungsmanagement der Klinik, nicht das Landratsamt, nicht das Seniorenzentrum. Genau das, sagen sie heute, wäre Sache des Betreuers gewesen. Aber Herr Prinz habe sich nicht helfen lassen wollen.

Was Prinz damals nicht weiß: Beim Sozialamt Neckartenzlingen hat die Uniklinik bereits am 4. September 2013 "Hilfen zur Pflege" beantragt für Prinz, der "zur dauerhaften Unterbringung in die stationäre Pflegeeinrichtung ,Haus am Schönrain' verlegt wurde". Dauerhaft? Von diesem Brief, sagt Prinz, habe er erst viel später erfahren.

Und auch das Schreiben vom 10. September 2013, in dem die AOK Baden-Württemberg dem Pflegeheim mitteilt, dass Prinz nun Leistungen der Pflegestufe 1 erhalte, welche aber die Kosten für den Heimplatz nicht deckten, sei ihm nicht unmittelbar zur Kenntnis gegeben worden. Das Heim bestreitet dies.

Kampf um Medikamente


Die Folgen: Weil die Behörden offenbar auch untereinander nicht kommunizieren, bleiben Informationen auf der Strecke. Zeitweilig ist Wolf Prinz nicht mehr krankenversichert. Ärzte drohen mit Behandlungsabbruch, in Apotheken muss er um Medikamente kämpfen. Der Antrag auf Sozialhilfe, zu stellen bei der Behörde des letzten Wohnorts, geht beim Bezirk Schwaben erst am 16. Dezember 2013 ein. Mit Bescheid vom 24. Januar 2014 verpflichtet sich der Bezirk zwar, rückwirkend die Kosten zu übernehmen, die die Pflegeversicherung nicht abdeckt, sowie einen monatlichen Barbetrag von 105,57 Euro.

Zu diesem Zeitpunkt aber hat das Jobcenter Lindau - seit Prinz pflegebedürftig ist, ist es für Leistungen nicht mehr zuständig - die Mietüberweisung eingestellt. Anträge, die nötig wären, damit das Sozialamt für die Miete einspringen würde, liegen nicht vor.

Der Vermieter lässt die Wohnung Ende 2013 räumen. "Was sollte ich machen, es kam kein Geld mehr, es stank, ich konnte den Herrn Prinz nicht erreichen", sagt er zur taz. Möbel, Platten, Computer, Zeugnisse - er habe alles auf den Dachboden verfrachtet, versichert der Vermieter. Doch als sich Prinz im Dezember 2013 zusammen mit Ingrid Ureutz nach Bodolz aufmacht, sind die meisten Dinge verschwunden. "Man fällt kulturell aus seiner Vergangenheit raus", sagt Wolf Prinz. Er bleibt im Heim. Für eine neue Wohnung fehlen ihm Möbel wie Kaution.

Heim und Landratsamt erklären: Helfen können sie nur, wenn ein Betreuer eingesetzt wird.

Im November 2013 bescheinigt ein nervenärztlicher Gutachter in der "Betreuungssache Wolfgang Prinz": "Der Betroffene ist in allen konkreten Aufgabenkreisen in der Lage, seinen freien Willen zu bestimmen." Im Januar 2014 urteilt das Betreuungsgericht in Neckartailfingen: "Die Anordnung der Betreuung für Herrn Prinz war abzulehnen."

Prinz bleibt im Heim.

"Es ist kein Einverständnis von uns notwendig, wenn sich jemand entschließt, aus unserer Einrichtung auszuziehen", schreibt die Leiterin des DRK-Pflegeheims der taz. "Wenn er dies nicht alleine organisieren kann, muss er für eine Unterstützung sorgen."

Es ist Ingrid Ureutz, die, bevollmächtigt von Prinz, den Job macht, für den Heim, Klinik und Amt einen Betreuer zu benötigen glauben: Sie organisiert Prinz' Umzug in ein anderes Pflegeheim in Tübingen. Sie kämpft sich mit ihm durch die Papiere, damit das Sozialamt Prinz' Antrag auf betreutes Wohnen im September 2014 schließlich bewilligt: eine "maximale Kaltmiete von mtl. 505,00 Euro" werde übernommen.

Die meisten Wohnungen in Tübingen liegen oberhalb dieser Grenze. Prinz ist weiter im Heim.
Quelle: http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/, 16.12.2014 - Dank an die Autorin ...
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