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Autor Thema: Sohn als Betreuer für seine Mutter gegenüber Klinik-Ärzten machtlos  (Gelesen 5032 mal)
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« Antworten #4 am: 17. Oktober 2019, 12:36 »

Zitat
Lange Suche nach Verantwortlichen

Von Jan Zier - Bremen-Redakteur, taz-Nord | 30.09.2019

Seit seine Mutter vor mehr als fünf Jahren im Krankenhaus Bremen-Ost starb, kämpft sich Noah Akin durch die Instanzen. Er wirft der Klinik vor, seiner Mutter lebensrettende Maßnahmen verweigert zu haben. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist nun seine letzte Hoffnung

Scheinermittlungen. Immer wieder taucht dieses Wort auf, wenn es um den Tod von Ayten Akin geht. „Von einem rechtsstaatlichen Ermittlungsverfahren kann nicht mehr die Rede sein“, schreibt die Anwältin Sabine Hummerich in ihrer Beschwerde, die nun, am Ende eines langen Rechtsstreits, dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorliegt. Die Straßburger RichterInnen sind, rein juristisch betrachtet, so etwas wie die letzte Hoffnung in diesem Strafverfahren.

Ayten Akin kam wegen einer Routineuntersuchung ins Krankenhaus Bremen-Ost und fiel mehrere Wochen später, am 24. Februar 2014, nach einer Lungenspiegelung ins Koma. Sie erwachte nicht mehr. Noah Akin war der rechtliche Betreuer seiner stark pflegebedürftigen Mutter und somit auch dafür verantwortlich, über ihre Behandlung zu entscheiden. Der Lungenspiegelung hatte er nicht zugestimmt. Die Behandlung fand statt, noch bevor er mit den Ärzten darüber hatte sprechen können.

Wenige Stunden nach der Lungenspiegelung erlitt Ayten Akin einen Herzstillstand und fiel ins Koma, und zwar „aufgrund der unterlassenen Hilfe“, wie die Anwältin in ihrer Beschwerde schreibt. „Ich werde nicht reanimieren“, wird der Stationsarzt da zitiert. Eine Aufnahme in die Intensivstation habe der Oberarzt abgelehnt, es sei ohnedies kein Bett frei. Auch der Anästhesist soll jede Notfallbehandlung abgelehnt haben. Er solle sich von seiner Mutter verabschieden, sie werde sterben, sagte der Oberarzt zu Noah Akin. So steht es in der Beschwerdeschrift von Hummerich. Ayten Akin lebte dann noch einen Monat lang. Nach einer Intervention des Chefarztes war sogar am selben Tag noch Platz auf der Intensivstation.

Noah Akin wirft dem Krankenhaus vor, seiner Mutter lebensrettende Maßnahmen verweigert zu haben, obwohl er diese als ihr Betreuer vehement eingefordert hatte. „Es war so, als hätte meine Mutter selbst den Wunsch auf Leben geäußert.“ Aber dies sei „komplett übergangen worden. Es gab keine rechtliche Grundlage dafür, keine medizinischer Notfallhilfe zu leisten“, sagt Akin. Das sei „eine rechtsstaatliche“ Katastrophe par excellence.“ Er spricht darum von „Totschlag durch Unterlassen“, also Vorsatz. Das Verfahren wird aber, was ihn unruhig macht, wegen „fahrlässiger Tötung“ geführt.

Doch die RichterInnen und StaatsanwältInnen sahen das stets anders. Zuletzt wurde eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht nicht einmal zur Entscheidung angenommen, nach zweieinhalb Jahren, ohne Begründung.


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„Den Arzt als Täter gibt es nicht, das kann und darf nicht sein“
Sabine Hummerich, Anwältin
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Weit über fünf Jahre ist es her, dass Ayten Akin starb. Und so lange kämpft ihr Sohn Noah Akin schon vor den Instanzen. Er fühlt sich inzwischen „vom Rechtsstaat verlassen“ – so steht es nun unter Punkt 71 der 13-seitigen Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Und die Entscheidung des Gerichtshofs wird endgültig sein.

Ein knappes Jahr nach dem Tod von Ayten Akin stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen die behandelnden Ärzte wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen ein. Begründung: Es bestehe „kein hinreichender Tatverdacht“. Die Generalstaatsanwaltschaft sah das später auch so: Ein kausaler Zusammenhang zwischen der fehlenden Behandlung und dem Tod von Akin sei „nicht feststellbar“. Und wer genau der Täter war, sei „nicht feststellbar“.

Beide Staatsanwaltschaften stützten sich auf ein „vom Arbeitgeber der Verdächtigen überreichtes Gutachten“, das „an wesentlichen Stellen fehlerhaft“ war, sagt Anwältin Hummerich. Die Staatsanwaltschaften hätten es „unhinterfragt übernommen“, dabei seien schon dessen Vorannahmen über den Zustand der Patientin falsch gewesen.

Auch das Oberlandesgericht kam zu dem Ergebnis, dass „keine überwiegende Wahrscheinlichkeit“ für eine Verurteilung bestehe – ein Verschulden der Ärzte werde nicht nachweisbar sein, so das Argument, an den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sei nichts auszusetzen. Dabei, moniert Hummerich, seien diverse ZeugInnen weder zeitnah noch überhaupt vernommen worden. „Das Skandalöseste“ seien die nachlässig geführten Ermittlungen, und im Falle der kommunalen Klinikholding Gesundheit Nord, zu der auch das Krankenhaus Bremen-Ost gehört, seien sie in Bremen „von besonders großer Wurstigkeit“. „Hier wird das Recht einer Schwerkranken auf ärztliche Behandlung negiert und damit das Recht auf körperliche Unversehrtheit verletzt“, klagt die Anwältin.

Doch bei den Bundesverfassungsrichtern drang sie damit nicht durch. „Hier sind Schein­ermittlungen von allen Seiten als hinlänglich aufgefasst worden, immer auf der Basis der Auffassung, die Verstorbene sei ja bettlägrig und alt und krank, wahrscheinlich moribund gewesen, da sei das Verhalten der Ärzte rechtmäßig.“ Hummerich hofft, dass die Entscheidung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte über den Umweg des Ministerkomitees des Europarats am Ende dazu führen, dass doch wieder gegen die behandelnden Ärzte ermittelt wird.

Aus Sicht der Anwältin ist der Fall Akin durchaus kein Einzelfall. Hummerich vertritt auch Claudia Beck, deren Tochter Melissa vom Krankenhaus Bremen-Ost als „arbeitsfähig“ entlassen wurde und sich Stunden später erhängte. „Das war fahrlässige Tötung“, sagt Claudia Beck, die der Psychiatrie der Klinik „arztlose Scheinbehandlungen“ vorwirft. Und auch in diesem Fall spricht Sabine Hummerich von „massiven Scheinermittlungen“.

„Den Arzt als Täter gibt es nicht, das kann und darf nicht sein“, sagt sie – aber das sei ein „bundesweites Phänomen“. Eine 2007 erschienene Dissertation, die 210 Ermittlungsverfahren gegen MedizinerInnen und Pflegepersonal aus den Jahren 1989 bis 2003 ausgewertet hat, kam zu dem Ergebnis, das 85 Prozent der Ermittlungsverfahren mangels hinreichenden Verdachts eingestellt wurden, weitere 8 Prozent gegen Zahlung einer Geldbuße. In weniger als 4 Prozent der Fälle kam es zur Anklage.

Quelle: https://taz.de/!5625378/

* Noah Akin.pdf (145.85 KB - runtergeladen 320 Mal.)
« Letzte Änderung: 17. Oktober 2019, 12:37 von admin » Gespeichert

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« Antworten #3 am: 17. Oktober 2019, 11:33 »

Zitat
Mann Kämpft Gegen Bremer Klinik
Haben Ärzte seine Mutter elendig sterben lassen?


von Karsten Krogmann - NWZ 11.07.2015

Noah Akin ist fassungslos: Die Bremer Ärzte sollen seiner Mutter lebensrettende Maßnahmen verweigert haben – und das auch noch mit eiskalten Kommentaren. Seine Anwältin Gaby Lübben, bekannt durch den Klinikmorde-Prozess gegen Ex-Pfleger Niels Högel, sieht auch hier eine „Verrohung des Systems“. ...
Quelle: https://www.nwzonline.de/politik/niedersachsen/sohn-beklagt-elenden-tod-der-mutter-haben-aerzte-seine-mutter-elendig-sterben-lassen_a_30,0,321389204.html
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« Antworten #2 am: 17. Oktober 2019, 11:29 »

Zitat
RTL Nord - Montag, 16.03.2015
Kampf für Gerechtigkeit

Mehr als zehn Jahre pflegte Noah Akin aus Bremen seine Mutter - ganze drei davon war sie bettlägerig. Trotzdem blieb ihr Sohn immer an ihrer Seite.

Im Februar vergangenen Jahres sollte im Krankenhaus die Ernährungssonde bei Ayten Akin gewechselt werden. Doch sie bekam eine Lungenentzündung – einen Monat später starb die damals 79-Jährige.

Was genau passierte und wie dieser tragische Fall jetzt auch die Bremer Politik und Justiz beschäftigt, zeigt Tina Wickboldt.

[zum TV-Bericht >>]

Quelle: https://www.rtlnord.de/nachrichten/kamf-fuer-gerechtigkeit.html
« Letzte Änderung: 17. Oktober 2019, 11:38 von admin » Gespeichert

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« Antworten #1 am: 17. Oktober 2019, 11:21 »

Zitat
Lebensgefährliche Entlassung
Die Rhetorik des Staatsrats

Mit Verve hatte Hermann Schulte-Sasse den Rauswurf der kranken Ayten Akin aus Bremer Kliniken verteidigt: Rainer Bensch will den Fall jetzt politisch neu verhandeln.


von Benno Schirrmeister - Reporter und Redakteur | taz-Nord 19.08.2013

BREMEN taz | Mittlerweile hat der Fall Akin wieder die politische Bühne erreicht: Noah Akin hatte Strafanzeigen gestellt und den Petitionsausschuss angerufen, nachdem KlinkärztInnen seine Mutter 2008 und 2010 trotz diagnostizierter chronischer Hyponatriämie (Natriummangel) und mit lebensbedrohlichen Laborwerten aus Bremer Krankenhäusern geradezu rausgeworfen hatten: einmal aus Ost, und einmal aus Mitte.

Die staatsanwaltlichen Bemühungen verliefen im Sande, von den drei angestrengten strafrechtlichen Privatklagen ist die eine, die sich auf den Fall von 2008 bezog, verjährt: Das Gericht hat entschieden, sie nicht zuzustellen – zu Unrecht, wie Anwalt Sven Sommerfeldt findet. „Ich prüfe, ob eine Anzeige wegen Strafvereitelung im Amte hier sinnvoll ist“, sagt er. Für fatal hält Akin den Ausgang. „Das weckt den Eindruck, Ärzte könnten sich alles leisten“, sagt er. „So etwas darf es in einem Rechtsstaat nicht geben.“

Auch die Bürgerschaft hatte den Fall auf Anraten des Petitionsausschusses im Frühjahr 2011 für erledigt erklärt. Nun aber schnürt der gesundheitspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Rainer Bensch, die Akten neu auf. „Uns interessiert natürlich vor allem, welche Rolle der damalige Staatsrat gespielt hat“, so Bensch. „Wir haben einen ganzen Katalog von Fragen an ihn.“ Spätestens bei der nächsten Gesundheitsdeputation müsse die Behörde darauf antworten. Hermann Schulte-Sasse (parteilos), jetzt Gesundheitssenator, hatte nämlich bei der öffentlichen Anhörung im Petitionssausschuss mit Verve jeden Behandlungsbedarf der schwerkranken Frau geleugnet – im krassen und offenkundigen Widerspruch zur allgemein anerkannten internistischen Lehrmeinung. Die Aussage hätte dem damaligen „Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse“ entsprochen, behauptet ein Sprecher des Senators.

Allenfalls auf Nachhaken wird eingeräumt, dass Schulte-Sasses Äußerungen „missverständlich“ gewesen wären: Gemeint ist damit die Behauptung des damaligen Staatsrats, ein Natriummangel sei erst ab einem Wert von 105 Millimol pro Liter Blutserum (mmol/l) überhaupt behandlungsbedürftig. Die Fachliteratur setzt diese Schwelle meist bei 125 mmol/l. Und laut klinischen Studien ist ab diesem Wert die Wahrscheinlichkeit an der Krankheit zu sterben deutlich höher, als zu überleben. Die staatsrätliche „Äußerung bezüglich des Natriumgrenzwertes“ sei eben „nicht verallgemeinerbar“ gewesen, so der Sprecher. Ein dürftiges Ablenkungsmanöver: Das Prinzip Grenzwert ist in der Medizin ein Verfahren der Verallgemeinerung. Die Rede von einem individuellen Grenzwert ist ein Widerspruch in sich.

Den Petitionsausschuss allerdings hatte Schulte-Sasse mit derartiger Rhetorik und sekundiert vom Klinikum-Mitte Oberarzt Thorsten E. gewinnen können: „Ich glaube, es war gut, dass er eigens zu einem persönlichen Gespräch gekommen ist“, bewertet die grüne Abgeordnete Zahra Mohammadzadeh den Auftritt auch rückblickend positiv.

„Die haben uns damals mit Fakten überrollt“, erinnert sich Elisabeth Motschmann (CDU) indes skeptischer an die Anhörung. Und gegen die Autorität zweier Mediziner – „da bin ich mit meiner Theologie natürlich in einer schlechten Position“, sagt sie. Mittlerweile aber verursache ihr die Zurückweisung der Petition „ein schlechtes Gefühl“.

Grund: Auf zivilrechtlicher Ebene ist es Akin gelungen einen Vergleich durchzusetzen. Die zuständige Richterin hatte die von Schulte-Sasse als regelkonform verteidigte Entlassung als offenkundigen Fehler erkannt. „Das bedeutet für mich, dass wir damals auf Basis von Behauptungen entschieden haben, die so nicht hinhauen“, so Motschmann. „Das bedauere ich.“
Quelle: https://taz.de/Archiv-Suche/!5060924
« Letzte Änderung: 17. Oktober 2019, 11:22 von admin » Gespeichert

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« am: 17. Oktober 2019, 11:15 »

Zitat
Ärzte versagen bei schwer kranker Patientin
Frau Akin wird behandelt

Mehrfach wird Ayten Akins Natriummangel in Bremer Kliniken gefährlich unterschätzt – obwohl ihr Sohn Ärzte warnt und darauf hinweist. Nun ist sie ein Härtefall nach Pflegerichtlinie – und er kämpft für ihr Recht.


von Benno Schirrmeister - Reporter und Redakteur | taz-Nord 08.07.2013

Am Ende bricht der Himmel auf und gespiegelt gelangt die Sonne doch noch in Raum 102 und überstrahlt das Kunstlicht. „Das Wetter wird schön“, sagt Amtsrichterin Birgit Martensen, lacht, als hätte sie selbst dafür gesorgt. Und hat ja auch wirklich eine Art Wunder vollbracht. Hat Noah Akin etwas vom Glauben zurückgegeben, ins Gesetz, in den Rechtsstaat und seine Institutionen. Und das in einem drögen Zivilprozess ums Arzthaftungsrecht. Martensen glückt das während des Resümees der Aktenlage, mit dem so schlichten wie einsichtigen Satz: „Die Frau Akin hätte nicht aus dem Krankenhaus entlassen werden dürfen.“ Und genau darum geht es.

„Es ist so ungerecht“, das sagt Noah Akin immer, wenn er den Fall seiner Mutter schildert, „es ist ungerecht“, mal früher, mal später. „Ungerecht und unmenschlich.“ Und das stimmt, auch wenn die Hand des Rechts das nicht immer fassen will: „Einen so extremen Fall habe ich nicht noch einmal erlebt“, bestätigt Gesundheitswissenschaftler Michael Bialek. „Die werfen die alte Frau einfach aus dem Krankenhaus, obwohl sie schwer krank ist.“ Patientenberater Bialek vermutet ökonomische Gründe. „Die Fallpauschale war aufgebraucht“, erläutert er. Eine Sicht, die das Klinikum zurückweist.

“Hy- po- na- tri- ä- mie“, Richterin Martensen hat sich sorgfältig eingearbeitet, aber vor dem Fachbegriff hat sie Respekt, liest ihn ab, Silbe für Silbe. Noah Akin nickt. Nur wenigen ist der Ausdruck so geläufig wie ihm. Dabei ist der Natriummangel im Blut eine häufige Krankheit im Alter. Noah Akin hat in all den Jahren viel über sie gelernt, in der Flut der Verfahren, Strafrecht, Haftungsrecht, sogar per Petition auf politischer Ebene. Ein abgeklärter Jura-Profi ist er darüber nicht geworden. „Ich hoffe, ich bekomme Gelegenheit, zu sprechen“, sagt der kompakte Mittvierziger vor der Sitzung im Gerichtsflur zu Lovis Wambach, seinem Zivilrechts-Anwalt. „Wozu?“, fragt der zurück, schaut ihn übern Brillenrand an. „Für die Gegenseite ist doch nur der Anwalt da“, sagt Wambach. „Für den ist das nichts Persönliches.“

Kopfschmerz, Schwindel, Koma, das Krankheitsbild ist diffus. Sehr oft neigen die Betroffenen zu Stürzen. Das erhöht die Frakturrate und mit ihr die Zahl der Klinikaufenthalte, wo wiederum die Medikamentenvergabe den Ausbruch einer Hyponatriämie begünstigen kann. Es sei denn, die Kontrollen sind gut. Das sind sie aber nicht immer.

„Da ist etwas schief gelaufen“, stellt Richterin Martensen fest, als sie den Fall referiert, genauer: Jenen Ausschnitt des Falls, um den es im Raum 102 geht, der Vorgang im Klinikum Bremen Ost, vor fünf Jahren, der nur der erste Anfang war. Denn zu den Besonderheiten des Falls von Ayten Akin gehört, dass der heute 79-Jährigen mehrfach das Gleiche widerfährt, mit Variationen auf der Skala der Bösartigkeit. Zweimal muss Noah Akin seine Mutter wieder in eine Klinik bringen, wegen akuter Hyponatriämie, unmittelbar nachdem sie aus dem Krankenhaus entlassen worden ist. Muss bedeutet: weil Lebensgefahr besteht, und unmittelbar: höchstens Stunden später.

Die Gegenseite mauert. Dabei scheint ein Kompromiss leicht: Im Saal 102 ist die Formel schnell gefunden, 1.000 Euro, mehr nicht, ein paar Anwaltshakeleien noch, „keine Anerkenntnis“, klack!, Richterin Martensen drückt die Diktaphontaste, „sämtliche Ansprüche“, klack! „nicht berührt...“, klack! Es geht hier mehr ums Prinzip als ums Geld.

Das gilt erst recht an der zweiten Front, im Strafrecht: Sven Sommerfeldt vertritt Akin da, „mein Mandant will Genugtuung“, so der Anwalt. „Es geht darum, dass die Ärzte damit nicht einfach davonkommen“, so erklärt Noah Akin das. „Die haben meine Mutter einfach entsorgt“, sagt er. „Irgendetwas muss doch darauf folgen.“ Nein, findet die Staatsanwaltschaft. Sie hat alle Verfahren eingestellt. Vorsatz? Diese Frage stellt sie sich gar nicht.

Beim ersten Mal mag Sadiye Y. mit Ayten Akins Entlassung aus der Chirurgie des Klinikums Ost nicht warten, bis der Laborbefund vorliegt. Der Sohn protestiert, hält den Zustand der Mutter für kritisch. „Ich kenn‘ doch meine Mutter!“, sagt er. Er pflegt sie damals schon seit vier Jahren. Die Ärztin kennt kein Erbarmen. Zuhause erreicht Akin dann der Anruf, der Wert liege bei 117 mmol/l. Die Fachliteratur nennt das lebensbedrohlich und nur per Infusion zu therapieren. Frau Dr. med. Y. empfiehlt: Mehr Salz aufs Frühstücksei.

Die strafrechtliche Privatklage gegen sie hat das Amtsgericht beschlossen, nicht zuzustellen. Dagegen hat Sommerfeldt Beschwerde eingereicht. Die liegt beim Landgericht. „Eilt!“ hat er zentriert in Fettschrift drüber getippt, „Verjährung tritt ein am 17. 07. 2013“.

Beim Fall zwei dauert es bis dahin noch: Er trägt sich 2010 zu, im Klinikum Bremen Mitte. Angezeigt hatte Akin hier die diensthabende Ärztin Tina H. und Oberarzt Thorsten E. Die Staatsanwaltschaft hat dann beim Klinikum Bremen Mitte ein Gutachten bestellt. Also bescheinigt das Gutachten des Klinikums Bremen Mitte den Ärzten des Klinikum Bremen Mitte, am 15. 7. 2010 alles richtig gemacht zu haben. Ermittlung beendet.

Zwei Tabletten drückt Tina H. Noah Akin am Abend des 15. 7. 2010 für die Mutter in die Hand. Die war am Vormittag dort entlassen worden, die Rippenfraktur war verheilt. Noah Akin fordert die erneute Aufnahme. Tina H. verweigert sie. Noah Akin zeigt das Einweisungsschreiben vom Hausarzt vor. Tina H. droht mit dem Sicherheitsdienst. Noah Akin besteht auf einem Vermerk, dass er sich der Entlassung widersetzt.

Die Frau sei gut beieinander gewesen, behauptet Tina H.s Arztbrief. Der Sohn nimmt die Mutter an die Hand. Als sie vor der Tür stehen, kotet sie ein. Sie weint und weiß nicht, wo sie ist. Noah Akins Knie zittern. Was tun? Er ist völlig am Ende. Ein Taxifahrer tröstet die zwei, schlägt vor, sie ins Diakonie-Krankenhaus zu bringen. Dort wird Ayten Akin sofort an den Tropf gelegt. Akute, symptomatische Hyponatriämie, lautet der Befund. Drei Wochen wird sie behandelt: Der Natriumspiegel entgleitet während der ersten 14 Tage immer wieder komplett. Der damalige Staatsrat Hermann Schulte-Sasse aber behauptet in einer 2010 vor dem Petitionsausschuss abgegebenen Stellungnahme, die Behandlung hätte „ambulant durchgeführt werden“ können. Die zwei Tabletten hätten gereicht. Es ist ungerecht. Es ist unmenschlich.

Als Noah Akin ein Baby war, hatte er, noch in Istanbul, eine schwere Lungenentzündung. Die Türkei war damals ein Entwicklungsland. Im Krankenhaus gibt man ihn auf. „Die haben mich in Tücher gehüllt und auf den Boden gelegt, auf Steinfliesen“, erzählt er, wie ihm es seine Mutter erzählt hat. Ayten Akin hat ihn aufgehoben, nach Hause getragen, hat mit geborgtem Geld Medizin gekauft. Und ihn gesund gepflegt.

Ayten Akin wird nie wieder gesund. Mittlerweile ist sie ein Härtefall nach Pflegerichtlinie, Pflegestufe 3-plus. Kein Prozent der Stufe-3 Patienten gruppiert man da ein. Auch dafür hat ihr Sohn noch kämpfen müssen. Aber der ist zäh. Und er nutzt jedes legale Mittel, auch die Petition hat er probiert, „aber die hätte ich mir schenken können“,sagt er.

Wobei: Immerhin führt die zu jener bemerkenswerten Stellungnahme von Staatsrat Schulte-Sasse. Heute ist der parteilose Arzt Gesundheitssenator. Mit einem Schreiben vom 9. 9. 2010 belehrt er den Petitionsausschuss der Bremischen Bürgerschaft, dass im Fall von Frau Akin „keine schwere Elektrolytstörung“ vorgelegen habe, da „eine schwere Hyponatriämie erst ab einem Natriumwert von 105 mmol/l besteht“.

Diese Aussage ist falsch.

Sie ist grob wahrheitswidrig und ein Versehen lässt sich ausschließen: Auf Nachfrage der taz.nord teilt das Ressort am 4. 7. 2013 mit, die Petition sei damals „nach aktuellem Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse behandelt worden“. Der Bitte um Präzisierung weicht der Sprecher tags darauf aus, indem er nun behauptet, es sei eigentlich „von einem Wertekorridor zu sprechen, in dem eine Behandlungsnotwendigkeit vorliegt“. Aber im Korridor der Natriummangel-Therapie spielt der Wert von 105 mmol/l auch damals nur eine Rolle: Ab dieser Serumkonzentration ist der Tod laut klinischen Studien wahrscheinlicher als das Überleben.

Die Aussage, die Schulte-Sasse auch in der mündlichen Anhörung bekräftigt, stützt sich nicht auf Fakten oder Forschung, sondern nur auf seine eigene Autorität – und den Willen, die Petition zurückzuweisen. Es ist eine Lüge. Der Petitionsausschuss aber folgt ihr. Am 12. 4. 2010 bittet er die Bürgerschaft, die „Eingabe für erledigt zu erklären“.

Gerecht? Manchmal verfällt Noah Akin in eine negative Weltsicht, spricht von einer Ärzte-Mafia, vermutet eine Verschwörung, Staatsanwaltschaft, Klinik, Senat, ein Bollwerk ohne Lücke. Aber er rennt dagegen an, stets den Kopf voraus. Er kann gar nicht aufhören. „Ich schulde das meiner Mutter“, sagt er. Zwei Jahre war er, da floh sie mit ihm nach Deutschland, vor dem Vater, der sie schlug und trat. „Sie hat mich auf den Arm genommen – und ist abgehauen.“ Hier hat Ayten Akin 35 Jahre lang gearbeitet, hat geschuftet, als ungelernte Hilfskraft und für schmales Geld – in der Küche einer Klinik in Bremen.
Quelle: https://taz.de/!5063711/
« Letzte Änderung: 17. Oktober 2019, 12:41 von admin » Gespeichert

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