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News: BGH stärkt Verbraucherrechte von Pflegeheimbewohnern

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Autor Thema: Der Kampf der Altenpfleger gegen die Uhr  (Gelesen 3664 mal)
admin
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« am: 23. September 2009, 14:04 »

Zitat von: Weser-Kurier
Vier Jahre Große Koalition - eine Bilanz. Heute Teil IX: die Pflegepolitik
Der Kampf der Altenpfleger gegen die Uhr


Mit der Pflegereform 2008 wollte die Bundesregierung „die Pflege in die Mitte der Gesellschaft rücken". Ist ihr das gelungen? Nein, sagt Greta M.
(Name von der Redaktion geändert), leitende Beschäftigte in einem Bremer Pflegeheim, die lieber anonym bleiben wollte. Sie kritisiert die zu dünne
Personaldecke und die häufig fehlende Zeit für eine individuelle Pflege. Mit ihr sprachen unsere Redakteure Sabine Doll und Hans-Ulrich Brandt.

Frage: Sie kommen direkt vom Dienst - wie war Ihr Tag heute?

Greta M.: Das war ein ganz normaler Frühdienst und ich hatte die Schichtleitung als examinierte Fachkraft. In der Zeit war ich verantwortlich für fast 50 Heimbewohner und die Arbeitsorganisation von fünf Mitarbeitern.

Betreuen Sie auch selbst noch Heimbewohner?

Ja, das gehört auch zu meinen Aufgaben. Wie erleben Sie Ihren Berufsalltag? Haben Sie das Gefühl, den Ansprüchen der zu Pflegenden gerecht werden zu können oder überwiegt häufig der Frust?

Das Wichtige muss gemacht werden, aber das Persönliche bleibt auf der Strecke. Wir würden uns liebend gerne mehr und intensiver um die Bewohner kümmern. Aber leider läuft es so ab: Waschen; in der Regel einmal die Woche duschen, wenn es sein muss, auch mehr- aber alles im Ruckzuck-Verfahren. Um gleich auch noch die Fingernägel zu schneiden, fehlt uns die Zeit. Das machen wir dann, wenn wir mal eine ruhige Minute haben. Erst einmal ist wichtig, dass die Bewohner angezogen sind und ihr Frühstück bekommen.


Das heißt, die viel kritisierte Minutenpflege, die Gesundheitsministerin Ulla Schmidt ja abschaffen wollte, gibt es nach wie vor?

Ja, es wird immer mehr Personal gekürzt und es geht total nach Pflegestufen. Jeden Tag erhalten wir eine Liste mit der Zahl der Bewohner, den aus den jeweiligen Pflegestufen sich ergebenden Pflegezeiten und der Zahl der Mitarbeiter. So kann kontrolliert werden, ob zu viel oder zu wenig Mitarbeiter gearbeitet haben oder nicht. Und meistens ist es so: Obwohl wir sehr viel arbeiten und keine Zeit haben, haben wir nach dieser Liste immer zu viel Personal.

Was ist denn besonders zeitaufwendig?

Die Dokumentation - und sie wird immer umfangreicher. Ich sehe die Notwendigkeit zwar ein, wünsche mir dafür aber mehr Personal. Es fehlen ein oder zwei Mitarbeiter pro Schicht, damit wir all das leisten können, was von uns gefordert wird. Dann hätten wir auch mehr Zeit für die Bewohner. Sorgen bereitet uns auch, dass wir immer mehr ausländische Kollegen beschäftigen, die noch nicht in der Lage sind, die Dokumentation richtig zu deuten und fachlich korrekt etwas einzutragen.

Die Große Koalition wollte mit ihrer Pflegereform 2008 „die Pflege in die Mitte der Gesellschaft rücken und den Betroffenen helfen". Ist ihnen das gelungen?

Das glaube ich nicht. In die Mitte der Gesellschaft rücken? Nein, wir stehen immer noch irgendwo alleine. Viele Heimbewohner werden nicht besucht, es kommen keine Angehörige, es kommt niemand.

Pflegeheime also als Verwahranstalten und nicht als Teil des gesellschaftlichen Lebens?

Ja. Immer wieder haben wir Fälle, wo Menschen ganz plötzlich am Freitag Nachmittag zu uns gebracht werden, weil sie zu Hause nicht mehr zurechtkommen und zu verwahrlosen drohen.

Fühlen Sie sich mit Ihrer Arbeit gesellschaftlich anerkannt?

Es heißt immer, unsere Arbeit sei angesehen, aber sie wird nicht so bezahlt. Und von vielen wird auch nicht gesehen, dass sie dann an jedem zweiten Wochenende arbeiten müssen. Wertgeschätzt wird unser Beruf schon-viele sagen mir zum Beispiel: Das ist ja toll, was du machst, ich könnte das nicht. Was mich aber stört ist, dass jeder, der keine andere Arbeit oder Beschäftigung bekommt, von den Arbeitsämtern in die Altenpflege gesteckt wird. Das finde ich nicht in Ordnung, denn wir Fachkräfte müssen viel Zeit damit verbringen, diese Menschen anzulernen. Ein guter Pfleger wird man nicht mal eben so nebenbei.

Wenn in der Öffentlichkeit über Pflegeheime und Altenbetreuung gesprochen wird, geht es häufig um Missstände. Wie gehen Sie mit solchen Vorwürfen um?

Es gibt solche und solche. Man kann weder alle Menschen noch alle Heime über einen Kamm scheren. Aber natürlich ist an diesen Vorwürfen etwas Wahres dran. In jedem Pflegeheim gibt es etwas, das besser sein könnte. Und wer sagt: Bei uns ist alles in Ordnung, sagt nicht die Wahrheit.

Pflege- und Altenheime sollen häufiger und stärker unangemeldet kontrolliert werden - ab 2011 sogar einmal jährlich. Was halten Sie davon?

Das kommt bei uns gut an, und es ist wirklich ein hilfreicher Test. Auch wir sind unangemeldet überprüft worden.

Wie läuft so eine Kontrolle ab?

Es finden lange Gespräche mit der Heimleitung statt. Dienstpläne werden eingesehen, es wird nach medizinisch komplizierten Bewohnern gefragt. Und es wird genau geschaut: Wie werden die Menschen ernährt, in welchem Zustand sind sie.


Wird nur mit den Verantwortlichen im Heim geredet oder auch mit den Bewohnern?

Nein, es wird alles unter die Lupe genommen: die Räumlichkeiten und die Bewohner. Natürlich wird nicht mit jedem geredet, aber stichprobenartig werden die zu Pflegenden schon besucht, um zu schauen, in welchem Zustand sie sind und wie es bei ihnen dokumentiert ist. Auch die Medikamentengabe wird genau überprüft.

Die Ergebnisse dieses jährlichen Pflege-TÜV sollen öffentlich gemacht werden. Finden Sie das richtig?

So wie es jetzt geplant ist, ist ziemlich viel Augenwischerei dabei. Es können nämlich bei der Gesamtnote schlechte Bewertungen zum Beispiel durch eine tolle Außenanlage oder einen Springbrunnen wieder ausgeglichen werden. Das finde ich nicht in Ordnung - was schlecht ist, sollte auch so bezeichnet werden, damit sich jeder ein Bild machen kann.

Stichwort: Personal. Das Thema Mindestlohn in der Pflege wird gerade diskutiert. Ist er notwendig?

Es muss unbedingt ein Mindestlohn festgesetzt werden. Einige Pflegekräfte arbeiten für sieben Euro in der Stunde, und das finde ich sehr wenig.


In Zukunft wird es immer mehr Pflegebedürftige geben und damit einen steigenden Bedarf an motiviertem, engagiertem Personal. Kann dieser Bedarf bei der gegenwärtigen Entlohnung überhaupt abgedeckt werden?

Ich denke, diese Arbeitskräfte werden aus anderen Ländern kommen. Das sind liebe, nette Menschen, die sich freuen, in Deutschland endlich eine qualifizierte Arbeit zu bekommen; sie sind häufig auch mit wenig Geld zufrieden. Das Problem dabei ist, dass nicht alle entsprechend ausgebildet und qualifiziert sind.


Für viele Menschen ist der Gang ins Altersheim ja immer noch etwas ganz Schreckliches. Was antworten Sie jemandem auf solche Vorbehalte?

Man sollte sich vorher immer mehrere Heime anschauen, vor allem auch unangemeldet. Es ist sehr ratsam, in dem jeweiligen Heim zu Mittag zu essen und an Festen teilzunehmen. Man erfährt sehr viel, kommt mit Pflegekräften, Bewohnern und Angehörigen ins Gespräch. Wenn der Umzug in eine Pflegeeinrichtung ansteht, sollte man auf jeden Fall rechtzeitig mit dieser Vorauswahl beginnen. Viele schieben dies zu lange auf: Sie fühlen sich noch nicht soweit, haben die Vorstellung, gut allein zurechtzukommen oder hoffen, dass Angehörige die Betreuung übernehmen.

Zwei Drittel der Pflegebedürftigen werden zu Hause betreut. Häusliche Pflege ist sicherlich sehr gut und ehrenwert. Aber übernehmen sich vielfach die pflegenden Angehörigen - oft sind es Frauen - damit nicht hoffnungslos?

Sehr viele überschreiten ihre körperlichen und seelischen Grenzen. Sie sind meist um die 80 Jahre oder älter und muten sich unglaublich viel zu. Professionelle Pflegekräfte, wie wir es sind, können nach acht Stunden die Tür zu machen und gehen, das ist bei den pflegenden Angehörigen eben
nicht so. Sie sind jeden Tag rund um die Uhr da, sie sind gebunden. Das finde ich unheimlich hart.


Stichwort Kurzzeitpflege: Wird sie genutzt? Oder ist der bürokratische Aufwand so groß, dass viele Menschen davor zurückschrecken?

EPD Das wird häufig in Anspruch genommen und ist auch sehr wichtig für die Angehörigen, damit sie eine Auszeit von der Rund um-die-Uhr-Pflege nehmen können. Das Problem ist aber, dass viele Menschen, die zu Hause einen Angehörigen betreuen, gar nichts von dieser Möglichkeit wissen.

Experten fordern die Abschaffung der Pflegestufen, weil sie Heime dazu verleiten könnten, ein Interesse an möglichst kranken Bewohnern zu haben. Immerhin gibt es für eine höhere Stufe auch mehr Geld von der Pflegekasse. Ist das in der Praxis so?

Das gilt sicherlich nicht für alle Heime. Bei uns sind Bewohner auch schon von Pflegestufe drei in zwei zurückgestuft worden. Außerdem achten die Kassen schon darauf, dass sie nicht zu schnell zu viel zahlen müssen. Aber grundsätzlich muss ich sagen: Ohne Pflegestufen war es besser, weil es einen festen Pflegesatz für alle Einrichtungen gab. Vom Stufensystem profitieren vor allem die großen Heime, sie können überleben, aber nach der Einführung haben immer mehr kleine Heime geschlossen.

Die Gesundheitsministerin hat eine Kommission beauftragt, den Pflegebegriff neu zu definieren. Ein Vorschlag ist, die Zahl der Pflegestufen von drei auf fünf zu erhöhen. Wird es damit besser?

Ja, das kann ich mir sehr gut vorstellen. Mehr Pflegestufen bedeuten auch eine stärke Berücksichtigung des Pflegegrads der Betroffenen. Eine feinere Unterteilung ist aus meiner Sicht enorm wichtig.

Quelle: Weser-Kurier, 23.09.2009
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