Verwaltungsgericht Hannover urteilt über Carrell-Anwesen in SykeHeim oder WG - der teure UnterschiedVon Hauke GruhnLandkreis Diepholz. Das Verwaltungsgericht Hannover hat entschieden: Die Senioren-WG auf dem früheren Anwesen von Rudi Carrell in Syke-Wachendorf ist ein Heim. Das hat für alle Seiten gravierende finanzielle Folgen. Nach Informationen des WESER-KURIER kann von einem Millionenbetrag ausgegangen werden, den die Krankenkassen bislang jährlich begleichen. Sie würden nun entlastet, während auf Angehörige, Pflegekasse und Landkreis wohl höhere Kosten zukommen.Wenn auch die mögliche Berufung gegen die Entscheidung aus Hannover scheitert und die WG in Rudi Carrells früherer Mühle zum Heim wird, werden die Krankenkassen vermutlich mit einem Schlag drastisch entlastet. Auf Gut Wachendorf sind derzeit fünf Wachkomapatienten in Behandlung. Nach Informationen unserer Zeitung werden für einen solchen Patienten, der rund um die Uhr in einer WG ambulant betreut wird, derzeit rund 28000 Eurovon der jeweiligen Krankenkasse an den Pflegedienst bezahlt - pro Monat. Für fünf Patienten kämen somit monatlich bis zu 140000 Euro zusammen. Geld, das an den Pflegedienst der Inhaberin des Gutes, Claudia Dammann, fließt. Hochgerechnet würden so jährlich bis zu 1,68 Millionen Euro von den Krankenkassen bezahlt.
Auch aufgrund solcher Zahlen wurde der Landkreis von den Krankenkassen gebeten, die Bedingungen vor Ort zu prüfen. Wenn in Carrells früherer Mühle nämlich tatsächlich ein Heim besteht, wird eine ganz andere Rechnung draus. Dann springt die Pflegekasse ein. Und dort beträgt der Höchstsatz selbst bei Härtefällen laut Auskunft der AOK Syke 1825 Euro. Macht einen Unterschied von monatlich bis zu 26175 Euro.
Bei einer Unterbringung in einem Pflegeheim werden die Pflegesätze individuell vereinbart zwischen der Pflegekasse (im Landkreis Diepholz vertreten durch die AOK), dem Betreiber und den Sozialämtern. Bei einer Heimunterbringung deckt die gezahlte Pflegepauschale aber oft nicht die tatsächlichen Kosten, sodass Angehörige beziehungsweise das Sozialamt die Differenz bezahlen müssen. Ist die Wachendorfer WG ein Heim, würden die Kosten für die Versichertengemeinschaft bei gerade etwas über 100000 Euro im Jahr liegen.
So müsste aber auch der Landkreis als Sozialhilfeträger womöglich viel Geld in die Hand nehmen. "Es könnte sein, dass wir die Differenzbeträge zwischen tatsächlichen Kosten und den Zahlungen aus der Pflegekasse überbrücken müssen", bestätigt Kreisrätin Inge Human. Dennoch sei man eingeschritten, weil das Konzept in Wachendorf "anders umgesetzt" worden sei als vereinbart. Der Landkreis sei sowohl vom Niedersächsischen Sozialministerium als auch von den Krankenkassen kontaktiert worden, um den Fall zu prüfen.
Kann die Wachendorfer Senioren-WG, die vom Landkreis und vom Verwaltungsgericht in Hannover erstinstanzlich als Heimbetrieb eingestuft wurde, unter den neuen Voraussetzungen überhaupt weiter bestehen? Auch dazu hätte der WESER-KURIER gerne Claudia Dammann, der das Anwesen und der Pflegedienst gehören, befragt. Sie ließ jedoch mehrfach vereinbarte Telefongespräche platzen, sodass von ihr keine Auskunft zum Thema zu bekommen war.
Einzelfälle betrachtenFür andere Senioren-WGs ergeben sich laut Horst Plass von der Heimaufsicht beim Landkreis Diepholz vorerst keine direkten Konsequenzen aus der Entscheidung zum Gut Wachendorf. "Man muss immer die Einzelfälle betrachten, die Konzepte und wie sie gelebt werden", betont Plass. In Heiligenrode etwa seien die Bestimmungen eingehalten worden. Wie viele Senioren-WGs es zwischen Bremer Grenze und Dümmer überhaupt gibt, sei dem Landkreis nicht bekannt. "Senioren-WGs sind nicht meldepflichtig", erklärt Plass. Grundsätzlich müssten in solchen Wohngemeinschaften aber dieselben Voraussetzungen wie bei häuslicher Pflege gewährleistet sein, und diese könne die Heimaufsicht kontrollieren.
Pflegerische Mängel seien in der Wachendorfer Senioren-WG nicht vorhanden gewesen, so Plass. Die Unterlassungsverfügung gegen den Betrieb sei erfolgt, weil die WG wie ein Heim funktioniere und dies nicht angemeldet worden sei. Die Kategorisierung als Heimbetrieb war (wie berichtet) unter anderem erfolgt, weil nach Ansicht des Landkreises die erforderliche Trennung von Wohnen und Pflege nicht gewährleistet war. So sei tatsächlich nur ein Pflegedienst im Einsatz gewesen - eben der von Claudia Dammann. Sie spricht von "Zufall" - das Gericht urteilte anders.
Im Stuhrer Ortsteil Heiligenrode besteht seit 2004 eine Senioren-WG. Diese unterscheide sich aber deutlich von der in Wachendorf, sagt Alexandre Peruzzo. Er ist Vorsitzender des gemeinnützigen Vereins "Miteinander Wohnen", der die WG seit rund vier Jahren betreibt. Der fehlende Profitgedanke sei ein Unterscheidungsmerkmal, aber auch, dass Immobilienbesitzer, Betreiberverein und Pflegedienste nicht derselben Herkunft seien, so Peruzzo. "Bei uns kann sich jeder den Pflegedienst selbst aussuchen." In der Praxis sei zwar in Heiligenrode zurzeit nur ein Pflegedienst im Einsatz. "Aber das Heimgesetz hat ja nichts dagegen, wenn sich alle Mieter auf einen Pflegedienst einigen", so Peruzzo. In Heiligenrode würden auch nur Patienten mit einer niedrigen Pflegestufe neu aufgenommen.
Quelle: http://www.weser-kurier.de, 24.09.2011