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Autor Thema: Pflegehelferin: "Altenpflege - Branche, in der nur Gewinn zählt ..."  (Gelesen 6816 mal)
admin
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« am: 17. November 2011, 19:53 »

Eine Pflegehelferin berichtet
„Nicht der Mensch mit Demenz ist verrückt, sondern die Situation, in der er lebt"

Katrin Bendrich

Arbeitslose sollen in der Pflege arbeiten – eine Idee, mit der die Bundesregierung vor einiger Zeit an die Öffentlichkeit ging. Unterstützung fand dieses Wunschbild auch von Pflegeheimbetreiber Ulrich Marseille. „Mehr als 700.000 Leute „sitzen“ in den Pflegeheimen und warten darauf, dass ihnen jemand vorliest oder einen Apfel schält.“, sprach er sich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung dafür aus. Das klingt nach einer sinnvoll zu besetzenden Tätigkeit, bei denen ältere Menschen aus ihrer Einsamkeit geholt werden können. Aber wie ergeht es Pflegehelfern tatsächlich beim „Äpfel schälen oder vorlesen“? Wir erhielten den Bericht einer jungen Frau, die zwei Jahre als Pflegehelferin in einer Wohngemeinschaft für Menschen mit Demenz gearbeitet hat.

Wohngemeinschaften für Menschen mit Demenz wären wunderbare Wohnprojekte. Schließlich könnte dort deren Bewohnern eine ganz besondere Betreuungsqualität geboten werden. Bezogen auf jene Einrichtung, in der ich zwei Jahre als Pflegehelferin tätig war, müssen beide Sätze jedoch im Konjunktiv bleiben. Ich bin eine von denen, die einerseits so dringend gesucht wird, andererseits auf bunten Werbeflyern und heiteren Internetauftritten eine geunkte Kompetenz wiederspiegeln.

Die Wahrheit ist: Ich hatte keine Ahnung von alten Menschen, geschweige denn von Menschen mit Demenz. Zudem beschritt ich den Weg in die Altenpflege eher unfreiwillig. Meine eigentlichen Qualifikationen wurden damals von der Agentur für Arbeit einfach ignoriert. Hätte ich das Jobangebot der Pflegestation aber abgelehnt, wären mir meine Leistungen kurzerhand gestrichen worden.

Als alleinerziehende Mutter nahm ich also notgedrungen die Herausforderung an. Damit begannen die intensivsten Berufsjahre meines Lebens. Jahre, die mich zutiefst prägten, mich an meine Grenzen führten und schließlich darüber hinaus. Keineswegs, weil die Arbeit so schwer war! Auch nicht, weil ich die Altenpflege verurteile! Und schon gar nicht deshalb, weil ich mit alten Menschen ein Problem gehabt hätte. Meine Last war eine ganz andere: Ich war nicht mehr fähig, die permanenten Verstöße gegen ethische und moralische Grundsätze zu bekämpfen.
                                                      
Das Konzept für Wohngemeinschaften finde ich fabelhaft. Es überzeugt mich. Doch was ich vorfand, hatte mit den Qualitätskriterien und Richtlinien – festgehalten in einer  Broschüre des Vereins Selbstbestimmtes Wohnen im Alter e.V. - nichts mehr zu tun. Die Wohngemeinschaft lag weder ebenerdig noch war sie barrierefrei. Eine Angehörige wurde so lange eingeschüchtert, dass sie müde auf Beschwerden verzichtete. Das geschulte Fachpersonal hatte keine Ahnung von Menschen mit Demenz. Ich wurde nicht eingearbeitet und bewältigte meine erste Grundpflege an einem völlig kotverschmierten Bewohner, der mir auf dem düsteren Flur entgegen tippelte. „Na, hast du dich schon mal angefreundet?“, hieß es, als ich einige Zeit später mit dem mittlerweile sauberen Herrn aus dem Bad kam. Es stellte sich heraus, dass der alte Mann regelmäßig das Personal vermöbelte, was vier weitere von acht Bewohnern ebenfalls taten.

Meine Kollegen saßen gern im 12 m² großen Zimmer eines rauchenden Bewohners, der seine qualmenden „Besucher“ wortlos akzeptierte. „Haben wir alles mit ihm abgesprochen, der freut sich!“, erklärte man mir auf meine verblüffte Nachfrage.  Vieles wurde über den Köpfen der Bewohner hinweg entschieden. Ressourcen verkümmerten. Regelrechte Täuschungen waren an der Tagesordnung: Eine Bewohnerin suchte sich ein Zimmer aus, welches sie gar nicht beziehen durfte. Statt in das helle, große Zimmer steckte man sie, ganz woanders, in ein kleineres Zimmer. Auf ihre Proteste zu reagieren, hielt man für „nicht nötig“. Sie wurde aus ihrer Wohnung geholt, weil sie als störrisch und uneinsichtig galt, Medikamente verweigerte, die sie nie brauchte und weil entschieden wurde, ihre Wohnung sei zu groß. Bedenken hatte niemand. Als sie einmal äußerte, gern Käse zu essen, wurde ihr der von nun an tagtäglich in Form eines zusammen geklappten Toastbrots in akkurat geschnittenen Häppchen am Rauchertisch serviert, neben ihrem Teller ein überquellender Aschenbecher.

Fortbildungen, die natürlich angeboten wurden, hatten selten mit dem Thema „Demenz“ zu tun.  Darum  investierte ich meinen sauer verdienten Mindestlohn in teure Literatur und außerbetriebliche Fortbildungen. Es war trotzdem schwer neue Maßstäbe zu setzen und dabei die Examinierten einzubinden. Da die nur zum Medikamente stellen anwesend waren - die wir Pflegehelfer dann verabreichten - war fast jegliche Ansprache, die über einen Smalltalk hinausging, mit einem schiefen Blick verbunden.

Bedarfsmedikationen wie Pipamperon waren frei zugänglich und wurden flaschenweise verbraucht. Leider katapultierte mich mein Interesse an den Bewohnern nicht zu der angesehensten Kollegin, sondern zum spitzen Stein im Schuh vieler Mitarbeiter. Manchmal verstand ich das sogar. Auch ich war oft genug mit Situationen überfordert. Sinnlose Veränderungen, von denen es mehr als genug gab, irritierten mich. Es wäre leichter gewesen mich unterzuordnen, meinen Job zu machen und fertig. Aber diese Arbeit ist kein gewöhnlicher Job. Sie verlangt einem alles ab, was man zu geben bereit ist. Jeder Mensch, der Menschen mit Demenz pflegt, verdient den größten Respekt. Diese Arbeit ist jedoch eine Berufung, die nach Menschen verlangt, die nicht nur wissen was sie tun, sondern es vor allen Dingen auch wollen. Gepaart mit der Arbeit in Wohngemeinschaften ist sie mit nichts vergleichbar. Dort leben Pflegekräfte auf engstem Raum mit den Bewohnern, verbringen mehr Zeit mit ihnen als mit ihrer eigenen Familie.

Überstunden werden stillschweigend vorausgesetzt. Kurze Dienstwechsel sind keine Seltenheit. Anerkennung ist ein Fremdwort. Und Beziehungspflege? Wie soll das bei dieser beispiellos hohen Fluktuationsrate umgesetzt werden? Die dünne Personaldecke war immer Thema, ist es noch und wird es bleiben, weil kaum eine Branche so unattraktiv ist wie die Altenpflege.

Nach zwei Jahren als Pflegehelferin ziehe ich zwar erschrocken Bilanz, jedoch keine die uns ernsthaft verwundern darf. Ich erlebte viele Pflegehelfer, die der Lebensqualität der Bewohner ernsthaft schadeten. Außerdem versuchte ich diesen Job auszufüllen, dem Mobbing standzuhalten, die Strukturen zu ertragen und in Maßen zu verändern. Dabei lernte ich wunderbare, mich sehr berührende Menschen kennen. Darunter einige sich bemühende - oft ausgebrannte Kollegen – leider aber auch kaltschnäuzige, emotionslose Pflege-Arbeiter, die desinteressiert „einen“ Job erledigten.

Altenpflege – das habe ich wirklich gelernt – ist eine Branche, in der folglich nur Gewinn zählt. Der Mensch – ob Bewohner oder Pflegekraft – ist sehr kostenintensiv und dann am angenehmsten, wenn sich an ihm einsparen lässt.

Quelle: "Der Pflegebrief, Ausgabe 4/2011" http://pflegen-online.de/pflegebrief/ - Mit freudl. Genehmigung
« Letzte Änderung: 18. November 2011, 00:30 von admin » Gespeichert

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"Wir sind nicht nur für das verantwortlich,
 was wir tun, sondern auch für das,
was wir nicht tun" (Jean Molière)
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